74. Kapitel
Angespannt war ich zu Viviane gefahren, nachdem John von der Arbeit etwas
früher Heim gekomen war. Als sie mir die Tür öffnete erschrak ich, so blaß sah sie
aus. "Vielen dank, daß Du gekommen bist". Leise schloß sie die Tür, als ob sie
Angst hätte durch deren Geräusch jemanden zu stören. "Das ist doch selbstverständlich.
Und um ehrlich zu sein, mache ich mir ganz schön Sorgen um Dich". Vivi nickte
stumm und wies mir mit der Hand, mich an den großen Holztisch zu setzen.
"Also, jetzt sag schon was los ist. Ich sehe ja, daß es Dir nicht gut geht. Ist es was
ernstes? Vielleicht wegen dieser Fieberattacken?" Viviane seufzte, bevor sie anfing
zu sprechen. "Es war gut, daß Du mir geraten hast, noch einen anderen Arzt
aufzusuchen". Ich ahnte bereits furchtbares. "Mir wurde Blut abgenommen und
dabei ist festgestellt worden, daß sich die Menge der wießen Blutkörperchen drastisch
erhöht hat". Viviane ließ den Kopf hängen und ich wusste ganz genau, was sie mir
jetzt sagen würde, doch ich wollte es nicht wahrhaben. "Ayleen, ich habe Krebs.
Leukämie. Und so wie es aussieht, eine sehr Aggresive".
[B]Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, stand sie auf und fing an zu weinen,
wie ich sie nie hatte weinen hören. Erschrocken blickte ich sie sekundenlang nur an,
unfähig irgendetwas zu tun oder mich auch nur zu bewegen. Das durfte nicht wahr
sein! Das, was ich soeben gehört hatte, konnte doch nicht wirklichkeit sein!
Krebs! Wieso? Das hatte Viviane doch nicht verdient! Gott warum nur! Alte Leute
wurden vielleicht krank, aber doch nicht.......Doch! Natürlich! Krebs ist nun mal eine
Krankheit, die jeden erwischen kann, egal welchen Alters.
[B]Unsicher, wie ich mich nun verhalten sollte, stand ich von meinem Sitzplatz auf,
umrundete den Tisch und ging zu meiner Freundin um sie zu trösten. Was sagte
man in solchen Situationen am besten? Lass den Kopf nicht hängen, daß wird schon
wieder? "Vivi...ich. ..." Vivianes ohnehin schon zierlicher Körper, sie hatte in den
letzten Wochen, in denen sie so oft krank war, sicherlich 5 Kg abgenommen, wurde
von heftigen Weinkrämpfen durchgeschüttelt. Behutsam legte ich meinen Arm um
ihre Schulter, drückte vorsichtig ihren Kopf an meine Schulter und so standen wir
eine Weile und Viviane ließ ihren Tränen freien Lauf.
Nico hatte Yves in sein Bett gebracht und auch seiner Frau geraten, sich etwas hinzulegen,
was sie auch tat. Er kam die Treppe herunter und ich sah, daß sein Lächeln sehr gequält war.
"Sie schlafen...beide" sagte er müde. "Nico, daß alles tut mir so leid. Ich weis gar nicht,
was ich sagen soll". Einige Sekunden starrte Nico nur zu Boden und ich konnte die
Tränen in seinen Augenwinkeln sehen. "Ist schon gut. Möchtest Du noch einen Kaffee
oder Tee trinken?" "Nein, danke. Du solltest Dich auch hinlegen. Ihr werdet viel Kraft
brauchen, in der nächsten Zeit". Nico nickte und umarmte mich freundschaftlich. Ich
spürte etwas feuchtes, als Nico seine Wange an meine drückte. Und ich musste schon fast
lächeln, weil ich froh war, daß er seine Gefühle nicht unterdrückte. "Du hast Recht. Viviane
und Yves brauchen mich nun mehr denn je. Und doch..." Er ließ mich wieder los und schaute
mir fest in die Augen. "Und doch...habe ich schreckliche Angst, vor dieser Verantwortung".
"Wenn ihr uns braucht, egal wann, egal wie, dann sind wir jederzeit für Euch da. Vergiss
das nie, hörst Du?" Dankbar nickte er und brachte mich zur Haustür. Mit einem
beklemmenden Gefühl im Bauch stieg ich in das Auto und fuhr nach Hause.
Ich schloß die Tür auf und sah, daß, ausser Leika, niemand hier war. Sicher war
John bei den Kindern oben. Es war Zeit, daß sie ins Bett gingen und auch ich
fühlte mich plötzlich hundemüde, obwohl es gerade einmal halb 8 war. Als
hätte ich Beine aus Eisen, schleppte ich mich die Treppenstufen hinauf. Ich
fühlte mich wie um Jahre gealtert. Anhand der Geräusche war zu erkennen, daß
John sich im Kinderzimmer aufhielt. Leise öffnete ich die Tür. "Schlafen sie schon?"
fragte ich flüsternd, doch im gleichen Moment sah ich John mit Kimberly im Arm
stehen. "Wo ist Venus?" John zuckte mit den Schultern. "Nicht aufzuhalten. Ich
glaube sie nimmt das Arbeitszimmer auseinander". Wie auf Kommando ertönte ein
Poltern aus dem anderen Raum, was sich danach anhörte, als wären einige Bücher
zu Boden gegangen. Ich ließ mich auf den Kindersessel fallen und fing an zu schluchzen.
Die ganze Anspannung musste raus. "Ayleen?" "Ach Gott, John! Es ist so furchtbar!
Vivi hat Leukämie". "Scheiße!" war alles, was John dazu sagen konnte.
"Ich kapiere immer noch nicht, wieso Dir Robert seine Karten für den Sylvesterball
überlassen hat. Dabei sind da doch fast alle seine Klienten vertreten". Barbara
saß bei Rebecca in der Küche und beide tranken Capuccino. "Oder glaubst Du etwa
er liebt Dich immer noch?" kicherte sie und hätte beinahe in das heiße Getränk geprustet
und sich somit, durch heiße Tropfen, verbrannt. "Quatsch. Red keinen Blödsinn. Er
hat Schuldgefühle, was sonst?" "Hihi. Die Leute haben aber auch blöd gekuckt, als
nicht er, sondern Du erschienen bist". Rebecca lächelte süffisant. "Erschienen, meine
liebe Brabara, ist genau der richtige Ausdruck dafür". Gerne erinnerte sie sich an
den Moment, an dem sie in ihrem Engelsgleichen Kleid und der perfekt hochgesteckten
Frisur, in den Saal trat, wo doch alle Robert erwartet hätten. Natürlich wusste jeder, daß
sie getrennt waren, aber was spielte das für eine Rolle? Niemand traute sich danach zu
fragen, wieso sie und nicht er da war. Und schon war sie im Mittelpunkt und das
Gespräch des Abends. Der perfekte Auftritt!
Aber noch besser war das Interesse der ledigen Männer für sie gewesen. Und das
waren schon ein paar, die gerne bereit waren sich die Füße plattzustehen, nur
um dann endlich mit ihr tanzen zu dürfen. Besonders ein Mann hatte es ihr angetan.
Lukas Reynolds. Ein Imobilienmakler, der sich darauf spezialisiert hatte, den Reichen
und Schönen, die besten Häuser und Grundstücke auf der ganzen Welt zu verkaufen.
Dementsprechend dick war auch sein Bankkonto. Und zudem sah er noch sehr gut
aus. Fast den ganzen Abend über, hatte sie ausschliesslich mit ihm getanzt, was manch
anderem Bewerber sicher missfallen hatte und Rebecca nur mehr Selbstbestätigung
einbrachte.
Sie hatte es endlich geschafft ihre Freundin Barbara aus dem Haus zu kriegen - hatte
die Frau denn nichts anderes zu tun, als bei ihr abzuhängen?- als das Telefon klingelte.
Zu Rebeccas Freude, war kein geringerer als Lukas Reynolds am Apparat.
"Oh Darling. Ich habe gerade an Dich gedacht. Das muss Gedankenübertragung gewesen
sein" säuselte sie in den Hörer.
Wenigstens war dieser Abend gerettet. Und das Lukas zu ihr zum Abendessen
kommen würde bewies nur, daß sie einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen
hatte. Lukas Einfluss in der Welt der oberen Zehntausend war wesentlich größer,
als der von Robert. Robert! In 2 Tagen war die Scheidung und sie freute sich darauf.
Doch immernoch war sie der Meinung, daß er eine Strafe verdient hatte. Niemand
wagte es, sie einfach so vor die Tür zu setzen. Vor lauter Ärger über ihren Ex-Mann,
wäre ihr beinahe der Reis übergekocht. Pünktlich um 8 Uhr, sie war gerade dabei das
Essen auf den Tisch zu stellen, klingelte es an der Tür. Nun würde sie einen entspannten
Abend verbringen. Mit Lukas!
geht noch weiter.....
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