Nach dem Essen wanderten sie hinüber ins Wohnzimmer, wo Martin und Casimir eine Weile über politische Sachen spekulierten und Cora Marie über Susans Genesung ausfragte.
Es war inzwischen dunkel draußen geworden und Martin hatte den Raum mit einem prasselnden Kaminfeuer mit Wärme und Helligkeit erfüllt.

Für einen Moment wurde es still im Zimmer und jeder schien seinen Gedanken nachzuhängen und die gemütliche Trägheit des späten Nachmittags zu genießen.
Irgendwann stand Casimir auf und setzte sich neben Marie. Er nahm ihre Hand und drückte sie. Marie schluckte, denn sie wusste, was er ihr damit bedeuten wollte – es wurde Zeit.
Sie räusperte sich mehrmals, bis sie glaubte, ihre Stimme wäre fest genug, dann sagte sie langsam: „Mama, Papa – Casimir und ich – also… nun ja… wir… wir wollten euch etwas sagen.“
Cora und Martin warfen sich einen schnellen Blick zu und sahen Marie dann aufmerksam an.
„Was denn, mein Liebes?“ ermutigte Cora ihre Tochter, nachdem diese eine Weile wie zögernd schwieg.
„Casimir und ich…“, begann Marie und legte sich die Worte genau zurecht. „Also, Casimir und ich, wir – wir haben uns verlobt.“

So, nun war es draußen – zumindest ein Teil der Wahrheit.
Cora und Martin sahen sich erstaunt an und suchten offenbar nach Worten. Casimirs ruhige Stimme ertönte und mit wenigen Worten schaffte er es, die unangenehme Situation wieder in geordnete Bahnen zu lenken: „Wir wissen, dass das etwas schnell kommt. Aber wir haben gute Gründe für diesen raschen Entschluss, nicht wahr, Marie… Liebes?“

Marie sah ihn an. Ihr Mund war trocken und ihre Hände feucht, doch sie wusste, dass es nun kein Zurück mehr gab.
„Ja“, sagte sie darum leise und senkte den Blick, denn sie konnte ihren Eltern nicht in die Augen blicken bei den nun folgenden Worten: „Es ist so – ich… bin schwanger. Casimir und ich erwarten ein Kind.“
Die letzten Worte waren Marie nur mühsam über die Lippen gekommen. In der Theorie war alles so einfach gewesen. Casimir und sie wollten heiraten, es war nur logisch und richtig, das Kind von Anfang an allen als das seine vorzustellen. Doch in dem Moment, in der ihr diese schwere Lüge gegenüber ihrer Eltern, die ihr uneingeschränkt vertrauten, über die Lippen gekommen war, schien sie erst die ganze Härte und Bitterkeit ihres selbsterstellten Schauspiels zu begreifen.

Vor ihrem inneren Auge tauchte Cedriks Bild auf. ER war der Vater, er hätte hier sitzen sollen, ihre Hand halten und sich als stolzer werdender Papa präsentieren. Stattdessen saß neben ihr Casimir, in seiner stoisch ruhigen Art, lächelte wie immer sein galantes Lächeln und sagte gelassen. „Ist das nicht wunderbar?“
Cora und Martin wussten nicht recht, was sie sagen sollten, sie waren von diesen zwei aufeinanderfolgenden Offenbarungen regelrecht sprachlos.
Marie kämpfte gegen den Wunsch an, aufzuspringen und zu rufen. „Es ist eine Lüge, das ist alles nicht wahr, verzeiht mir!“ … und ihren Eltern die Wahrheit zu sagen, sich in ihre Arme fallen zu lassen und zu warten, dass sie eine Lösung für ihr Dilemma fanden.
Doch stattdessen blieb sie nur ruhig sitzen und umklammerte Casimirs warme Hand. Mit einem sanften und sehr zarten Druck vermittelte dieser ihr, Ruhe zu bewahren. Er ahnte, was diese Offenbarung für Marie bedeutete. Sanft strich sein Daumen über Maries Handinnenflächen, was diese nur halb registrierte.
Sie starrte für einen Moment auf ihre Hände, unfähig, sich den Blicken ihrer Eltern weiter auszusetzen. An ihrem Finger funkelte ein Diamantring im sanften Licht. Casimir hatte ihn ihr geschenkt – als Verlobungsring. Es war fast lächerlich, wo doch sie beide wussten, auf welcher Basis diese Verlobung sich ereignet hatte.
Und doch – für Casimir war sie wohl TATSÄCHLICH die Frau und Liebe seines Lebens. Für ihn war somit nur richtig und vernünftig gewesen, ihr einen wunderschönen Ring als Zeichen dieser Verbindung zu schenken.
Für sie selbst stellte dieser Ring jedoch nur einen Hohn dar. Dennoch trug sie ihn, Casimir zuliebe. Und um den Schein zu wahren.
Casimir drückte erneut ihre Hand und Marie spürte, dass seine Ruhe und Entschlossenheit sich ein wenig auf sie zu übertragen schienen.

Ob Hohn oder nicht – in diesem Augenblick war sie sehr froh und dankbar, dass er hier an ihrer Seite saß und dieses ganze Lügengebilde nur ihr zuliebe mit trug.
Nach einer endlos erscheinenden Weile, die vielleicht ein oder zwei Minuten dauerte, räusperte sich Martin schließlich und holte sich seine Fassung zurück, indem er sagte: „Nun, ihr beiden, dann vermute ich, dass man euch gratulieren darf, nicht wahr?“
Marie sah ihn mit großen Augen an. Dass er diese Ankündigung so gelassen aufnehmen würde, hatte sie nicht erwartet. Martin erwiderte ihren Blick. „Ich will nur, dass du glücklich bist, Marie. Natürlich kommt das alles ein wenig überraschend, aber immerhin bist du erwachsen und weißt, was du tust. Und Casimir – ich möchte dich herzlich in der Familie willkommen heißen. Ich denke, du weißt, dass ich von dir erwarte, dass du meine Tochter zur glücklichsten Frau auf der Welt machen und meinem Enkelkind ein guter Vater sein wirst?“

Es sollte scherzhaft klingen, doch Martins Gesicht wirkte ernster denn je.
Casimir stand auf und streckte seinem künftigen Schwiegervater die Rechte entgegen. „Darauf gebe ich dir mein Wort.“
Die beiden schüttelten sich die Hände und dann klopfte Martin Casimir väterlich auf die Schulter. Dieser ließ sich nach diesem Schauspiel wieder neben Marie nieder und warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu.
Cora hingegen schwieg beharrlich und wandte den Blick nicht von Marie ab.

Marie sah sie lange an und fühlte, wie schwer es war, ihrer Mutter in die Augen zu sehen, ohne mit den Tränen zu kämpfen oder schwach zu werden. „Mama, ist… ist es dir recht?“ brach sie Coras Schweigen schließlich. Cora holte tief Luft und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, dann versuchte sie zu lächeln, was ihr nur bedingt gelang.
„Nun ja, Marie – es geht alles etwas zu schnell für mich. Ich meine, ihr kennt euch doch erst seit kurzer Zeit. Es überrascht mich, dass du, Marie… nun ja… so schnell bereit warst, diesen Schritt zu gehen… der zu deiner Schwangerschaft geführt hat, meine ich.“
Marie sah beschämt zu Boden und spürte, dass ihr die Röte in die Wangen trat. Sie wollte etwas erwidern, doch Casimir kam ihr zuvor: „Ich verstehe Ihre Sorge, Frau Liebhart. Und normalerweise hätten wir diesen Schritt wohl auch nicht so schnell gewagt… es war einfach nur so, dass die Anziehungskraft zu stark war und seien wir ehrlich, wir sind moderne Menschen und wir wissen, wie man sich schützen kann. Leider hat das in diesem Fall nicht geklappt. Was heißt leider“, korrigierte er sich schnell. „Ich bin unendlich froh um diesen Zwischenfall, wie man es nennen könnte, dankbar wäre besser gesagt.“

Cora musterte Casimir lange und nickte dann. Marie schluckte. Sie wäre am liebsten im Erdboden versunken, Casimirs Einwand war sicher nett gemeint gewesen, hatte die Situation aber nicht verbessert, eher im Gegenteil.
Cora merkte, wie sehr Marie unter der Situation litt und wollte ihre Tochter nicht länger quälen, darum lächelte sie mühsam und sagte: „Nun, Marie und Casimir, dann möchte ich euch auch gratulieren. Seid ihr euch auch wirklich sicher, dass ihr diesen Schritt nicht nur wegen des Babys macht?“
*geht noch weiter*