[Fotostory] Tiefer als der Schmerz

  • Liebe Innad


    Wow, war das wieder eine schöne FS!! Und passt gerade so gut zu der Stimmung hier, es ist neblig draussen, liegt noch etwas Schnee und ich sitze drinnen an meinem Schreibtisch und lese deine schöne Geschichte.


    Alles ist so friedlich. Jess hat endlich Arbeit gefunden, hat das Ziel, das Abitur nachzuholen, sieht wieder einen Sinn in seinem Leben, und kann sich nun auch finanziell beteiligen, was ja für sein Wohlbefinden auch sehr wichtig ist.
    Tessa hat gelernt, auch mal schwach sein zu dürfen, sich voll auf ihren Freund verlassen zu können und auch die Arbeit im Café scheint ihr richtig gut zu tun. Dass das Zusammenleben nicht einfach sein wird, haben beide gewusst, aber ist "einfach" denn immer auch gleichbedeutend mit gut/befriedigend/glücklich? Nein, ich denke NICHT!! Ein Jahr ist vergangen, sie haben sich zusammen gerauft und gelernt, gegenseitig Rücksicht zu nehmen auf die verschiedenen Vorlieben und ich denke, das haben sie sehr gut hingekriegt. Auch Tessas Eltern sind jetzt lockerer gegenüber Jess, sie haben ihn glaube ich auch schon in ihr Herz geschlossen. Vielleicht sehen sie jetzt auch endlich, dass es letztlich auf den Charakter ankommt und nicht darauf, wie viel Geld man verdient oder welchen akademischen Grad man erreicht hat!!


    Hui, wer ist an der Haustüre? Ich denke, dass es Tante Tru sein könnte....! :)


    Liebe Grüsse
    Jane

    Einmal editiert, zuletzt von Jane Eyre ()

  • Nanu, wer mag der Besuch bloß sein? :confused:


    Schön das Tessa und Jess nun besser miteinander auskommen. Sie haben einfach zuviel auf einmal erwartet und das konnte nicht gut gehen. Aber das haben sie wohl eingesehen und machen es nun besser.


    Schön das Jess endlich eine Chance bekommen hat und arbeiten kann. Und auch das er weiterhin sein Ziel verfolgt das Abi nach zu holen. Sehr lobenswert.
    Aber wer weiss, vielleicht ist er doch eines schönen Tages ein richtiger Künstler. Zu zu trauen wäre es ihm.


    Da brauchte Tessa wohl einen kleinen Tritt in den Allerwertesten um diesen hoch zu kriegen und nun auch ein wenig Geld zu verdienen. Schön das Jess ihr hierbei ein Vorbild sein konnte.


    Und das Verhältnis zu den (Schwieger-) Eltern scheint auch immer besser zu werden. Das sind doch die besten Voraussetzungen. Auch wenn es immer wieder mal Tiefs geben wird und sicherlich auch Tage dabei sein werden an denen grade Jess sich lieber in einen Rauschzustand versetzen möchte. Aber ich denke die beiden packen das und kriegen das hin.

    My Name Is Love - Nina Love

  • Huhu Innad, :)


    Hua, ist hier viel passiert. :eek:
    Erst einmal freut es mich wirklich, dass Jess nicht rückfällig geworden ist. Natürlich ist das alles möglich, aber wer so lange und hart gekämpft hat wie Jess, der wirft das nicht wegen einem Streit und Frust weg. Er hat jemanden für den er das alles erreicht hat und auch wenn da gerade mal nicht alles in Ordnung ist.
    Und wie man in der nächsten Fortsetzung ja gesehen hat, war es die richtige Entscheidung. Inzwischen ist alles einigermaßen gut geworden. Tessa und Jess haben sich zusammengerauft und beide haben inzwischen gelernt miteinander auszukommen, egal wie schwierig es manchmal war. Selbst Tessa hat gelernt, dass sie sich auch mal an Jess orientieren kann, was Arbeit angeht. Irgendwie scheint es für die Beiden im Moment auf ein Happy-End zu zusteuern, hatte ich zumindest den Eindruck, als ich das letzte Kapitel gelesen habe. Und soweit sind wir ja nicht mehr von dem Einstand (Tessa am Ende ihres Studiums) entfernt. Ich frage mich, was da noch auf die Zwei zukommt.
    Und wie auch Jane über mir, habe ich zuerst an Tante Tru gedacht, die an der Tür klingelt. ;)
    Obwohl ich mir auch vorstellen kann, dass es jemand ganz anderes ist. Jemand, der für Jess wichtig war, nur da frage ich mich wer das sein könnte? Ich freu mich schon auf die Auflösung. *g*


    Ganz liebe Grüße
    Llyn

    You are never more alive than when you're about to lose your pants!



    FS: Sunrise Update: 04.06.19

  • Nach mehr als zwei Monaten Schreibpause melde ich mich vorsichtig wieder zurück...


    Es ist für mich gerade seltsam, wieder weiterzuschreiben, es ist so vieles, erschütterndes in mir geschehen, dass ich gar nicht so recht wusste, ob ich mit etwas, das irgendwie ja schon ein wenig "banal" erschien, überhaupt weitermachen können würde. Aber ich kann, wie ich gemerkt habe, auch wenn es nicht ganz einfach ist.


    Ich habe einige sehr anstrengende und intensive Wochen hinter mir und ich weiß zurzeit auch noch nicht so ganz, wie ich das, was geschehen ist, verarbeiten werde und soll, aber irgendwie wird es schon wieder irgendwann Licht im Leben werden... und letztlich sind mein Mann und ich auch sehr dankbar und glücklich, dass wir unseren Sohn haben durften, wenn auch nur so schmerzlich kurz.


    Ich will euch auch kurz sagen, was grob geschehen ist - es war eine Frühgeburt, die völlig aus dem Nichts kam, wirklich über Nacht und ohne jede Vorankündigung, nach vielen Wochen einer grundlegend - bis auf die schlimme Übelkeit usw. - völligst unkomplizierten Schwangerschaft.Einige Tage haben wir im Krankenhaus dagegen angekämpft - erfolglos. Leider haben unseren kleinen Sohn nur lächerlich wenige Tage - nichtmal Wochen - von dem Zeitpunkt getrennt, ab dem er eine reele Überlebenschance gehabt hätte. Letztlich war er aber doch einfach noch zu klein, um sich lange auf dieser Welt durchschlagen zu können und es war das beste für ihn, friedlich in unseren Armen einschlafen zu dürfen. Nun haben wir ein kleines, von Schnee und Blumen bedecktes Grab bei uns hier in unserem verschlafenen Örtchen, das ins immer daran erinnern wird, wie viel uns in diesem Winter geschenkt und genommen wurde. Aber letztlich überwiegt dann doch Liebe und Dankbarkeit.




    ...



    Ich bin trotzdem jetzt ganz froh, dass ich es geschafft habe, weiterzuschreiben, denn immerhin sind wir fast am Ende der Geschichte um Jess und Tessa angelangt, wie ich ja bereits im Herbst schon mehrmals angekündigt habe. Und letztlich wird das Schreiben trotzdem etwas bleiben, das mir am Herzen liegt und mir gut tut, also habe ich die Bilder hochgeladen und möchte euch heute das dreiundneunzigste Kapitel präsentieren.


    Wann das nächste kommt, weiß ich noch nicht - ich muss mal sehen, wie ich mich fühle und wann es mir danach ist, ich denke aber, ich werde euch auf die finalen Episoden nicht allzu lange warten lassen.


    Danke für all eure lieben PN´s und BNs, die haben uns / mir wirklich sehr gut getan.


    Bitte seht mir Rechtschreibfehler oder Dreher nach - ich bin noch nicht ganz wieder da und oft ziemlich zerstreut, also bitte diesmal die Hühneraugen mit zudrücken, wenn sich der Fehlerteufel mehr als sonst eingeschlichen hat.



    Und nun - Viel Spaß nun mit dem aktuellen Kapitel!



    Ach ja - und euch allen noch nachträglich ein frohes Neues Jahr!

  • Kapitel 93
    Weggabelungen




    Tessa sah ihre Mutter verwirrt an.
    „Ich weiß nicht einmal, wer das ist“, sagte sie dann langsam. Nun stand auch Jess auf, kam zu ihr, griff sie an den Schultern und spähte über diese hinaus auf die Straße hinunter.
    Amanda Wagner erwiderte derweil nichts und ging stattdessen entschlossen zum Summer, drückte diesen und rief ein fröhliches: „Kommt in den zweiten Stock!“ in die Gegensprechanlage.
    Dann rannte sie wie der Wind durch die Küche in den Wohnungsflur und öffnete die Türe. Es waren Stimmen zu hören, die weder Tessa noch Jess zuordnen konnten. Schließlich rief Amanda nach draußen, dass beide doch in die Küche kommen sollten.
    Sie taten wie geheißen und musterten erstaunt die rothaarige Dame, die in Begleitung eines schwarzhaarigen Herren mit einem perfekt gestutzten Bart in die Küche traten.
    „Guten Tag!“, sagte die Frau freundlich und lächelte beide an, während der Mann mit einer etwas herrischen Geste die Küche betrat und die Einrichtung musterte.




    Verwirrt sagten Tessa und Jess wie aus einem Mund: „Hallo!“ und wussten nicht recht, was sie nun tun sollten – immerhin waren diese Menschen ihnen gänzlich fremd.
    Tessas Mutter jedoch schien beide umso besser zu kennen. Sie kam nach ihnen in die Küche und umarmte die Frau herzlich.
    „Karin! Wie schön, dass es geklappt hat!“
    Die rothaarige Frau lächelte und sagte nur: „Ich hab es dir ja versprochen, Amanda!“


    Nun wandte Tessas Mutter sich ihrer Tochter zu und stellte vor: „Das ist meine Tochter Tessa, Karin. Und der junge Mann ist Jess.“
    Die Frau lächelte beide freundlich an. „Sie sehen Ihrer Mutter ähnlich, Tessa“, stellte sie dann gütig fest.
    „Nun, dann sollten wir uns auch vorstellen, nicht wahr?“, ergriff der schnittige Mann nun das Wort, marschierte entschlossen auf Jess zu und reichte ihm die Hand.
    „Ich nehme an, Sie sind der junge Mann, dessen interessante Kunstwerke ich zu bestaunen die Ehre hatte? Mein Name ist Eduard van Bircken.“


    Verwirrt erwiderte Jess den resoluten Gruss und schüttelte dem Mann die Hand, der nun fortfuhr zu erwähnen: „Diese bezaubernde Frau hier ist meine verehrte Gattin, wenn ich ebenfalls vorstellen darf. Ich habe gehört, Sie haben heute Geburtstag, Jess – ich darf Sie doch bei Ihrem Vornamen nennen, nicht wahr? Nun, dann meinen herzlichen Glückwunsch!“
    Völlig durcheinander stammelte Jess: „Nun… vielen Dank, Herr van… van…“
    „Bircken“, half dieser ihm unbeeindruckt weiter und sah sich dann entschieden um. „Nun – haben Sie hier noch weitere Ihrer Werke, die ich mir anschauen könnte?“


    „Werke?“, wiederholte Jess verwirrt. „Ich… weiß nicht ganz, was Sie meinen…“
    „Nun, darum sind wir doch hier, nicht wahr“, erwiderte Herr van Bircken nun selbst leicht verwirrt und warf seiner Frau fragende Blicke zu, die lächelte und ihm zu nickte.
    „Ihre Werke“, wiederholte dieser daraufhin. „Ihre Bilder, von denen ich schon einige sehr vielversprechende bestaunen durfte. Ich wollte mir einige weitere davon anschauen und mit Ihnen über die weiteren Möglichkeiten sprechen.“
    Jess sah ihn weiterhin verwirrt an, lachte dann verunsichert auf und antwortete: „Nein – nein, Sie müssen mich offenbar mit jemandem verwechseln, Herr van Bircken.“




    Nun fiel Amanda in den Dialog ein: „Ich muss mich entschuldigen, Herr van Bircken… ich habe Jess nichts davon erzählt, dass ich Ihnen einen Teil seiner Bilder zur Verfügung gestellt hatte.“
    Verwirrt sahen sie nun alle zugleich an, woraufhin sie in wenigen Worten erklärte: „Karin – also Frau van Bircken ist seit langem eine gute Kundin in meinem Salon und neulich unterhielten wir uns über Jess´ außergewöhnliches Talent und sie erklärte sich bereit, Ihrem Mann – Ihnen, Herr van Bircken – einige Exemplare der Zeichnungen, die ich von ihm geschenkt bekommen hatte, zu zeigen und seine Meinung darüber anzuhören. Herr van Bircken ist Galerist“, fügte sie an Jess und Tessa gewandt hinzu, deren Gesichter nun vor erstauntem Schrecken und Verblüffung gezeichnet waren.
    „Ich wollte euch damit überraschen, zum einen, zum anderen dachte ich, es würde Jess nur nervös machen, wenn er davon weiß… und es war nicht ganz sicher, ob die beiden heute die Zeit finden, herzukommen. Ich wollte nichts verraten, damit ihr nicht enttäuscht seid.“
    Karin van Bircken lachte herzlich. „Die Überraschung scheint uns gelungen zu sein!“
    Ihr Ehemann, der dem ganzen mehr verwirrt als aufmerksam zugehört hatte, wandte sich nun wieder Jess zu und sagte entschieden: „Wie dem auch sei – Ihre Bilder sind ganz hervorragend gearbeitet, Jess, und ich möchte in aller Bescheidenheit behaupten, dass ich dies gut beurteilen kann, nach mehr als dreißig Jahren in dieser Branche.“



    Jess schluckte. „Das… das ehrt mich sehr, Herr van Bircken.“
    „Wem haben Sie Ihre Werke schon alles vorgelegt. Wo wurden sie bisher ausgestellt?“, wollte dieser ohne Umschweife wissen.
    „Vorgele… ausgestellt?“, wiederholte Jess zerstreut. „Ich… ich… niemandem, ehrlich gesagt.“
    „Niemandem?“, wiederholte sein Gegenüber ungläubig. „Das ist ja ungeheuerlich! Dann habe ich hier wohl einen Rohdiamanten entdeckt, was?“
    Er bleckte seine weißen Zähne und lachte dröhnend auf. Tessa schaute von ihm zu Jess und wieder zurück und fühlte sich für einen Moment, als sei sie in einem völlig durchgedrehten, aber aufregenden Film gelandet, in dem sie halb Zuschauer- halb Mitdarstellerin war.
    „Nun – Jess, dann würde ich jetzt gerne Ihre weiteren Werke sehen“, sagte Herr van Bircken nun. Jess stand einen Moment unbeweglich und schien seine Zunge verschluckt zu haben, was auch seinem Gegenüber auffiel.
    „Oder möchten Sie das etwa nicht?“, fragte dieser dann auch prompt, was Jess sofort aus seiner Starre aufwachen ließ. Schnell lächelte er und sagte: „Aber… doch… gerne… ich hab die meisten im Wohnzimmer, Sie können Sie gerne sehen. Folgen Sie mir doch einfach.“



    Wie eine kleine Prozession folgten sie ihm nun alle in den Wohnraum, wo Tessas Vater immer noch in aller Seelenruhe am Tisch saß, die Neuankömmlinge freundlich begrüßte und so tat, als sei er in alles eingeweiht.
    Jess reichte Herrn van Bircken eine Mappe mit seinen Zeichnungen der letzten Wochen. Jene blätterte dieser mit undefinierbarer Miene durch, während ihm alle wie gebannt zu sahen. Dann stand er auf und stolzierte an der Reihe aufgehängter Portraits und Malereien vorbei, die Jess in den letzten Monaten hier aufgehängt hatte. Vor Tessas Portrait blieb er besonders lange stehen und fing letztlich sogar an, sich nachdenklich mit den Fingern in seinem Bart herum zu fahren, während ihn weiterhin alle gespannt ansahen und auf sein Urteil warteten.


    Schließlich drehte er sich energisch zu Jess um und sagte mit fester Stimme: „Das ist großartig, wirklich großartig! Das einzige, was ich zu bemängeln habe, ist, dass Sie noch zu breitfächerig arbeiten. Sie brauchen einen eigenen Stil, eine Richtung, aber Sie sind noch jung und werden sich noch festlegen können. An welchen Kunsthochschulen haben Sie studiert?“
    Jess schien um ganze fünf Nummern zu schrumpfen, während Tessa ängstlich den Atem anhielt. Doch Frau van Bircken zog ihren Mann sacht zur Seite und raunte ihm wenige Worte zu. Dieser sah sie verblüfft an und sagte dann: „Nein sowas!“, woraufhin sie leise flüsterte: „Aber Liebling, davon habe ich dir doch schon mehrmals erzählt…“

  • Nun musste Tessa sich ein Lachen verkneifen, auch wenn es in der aktuellen Situation alles andere als passend erschien.
    Herr van Bircken wandte sich nun wieder Jess zu und sagte: „Nun – Ihnen fehlen noch die nötigen Studien, das ist klar. Aber gerade weil diese Ihnen fehlen, zeigt sich Ihr Talent noch eindrucksvoller! Wie Sie die Farben und Lichter kombinieren, lässt eigentlich auf jahrelange Studien in diesem Bereich schließen! Dass Sie noch Ihren Stil suchen müssen, ist klar – aber Ihr Talent ist unabstreitbar!“



    Jess bedankte sich verlegen, dann breitete sich wieder Stille aus und Herr van Bircken starrte die Bilder erneut tief in Gedanken versunken an.
    Dies dauerte einige Minuten, dann drehte er sich erneut ruckartig zu Jess und sagte laut: „Machen wir es doch so, mein Lieber – ich mache Ihnen ein Angebot. Wir stellen einige Ihrer Bilder in meiner Galerie aus, in einer Art Vernissage, aber erst in einigen Monaten, damit Sie noch weitere Werke in ein- und demselben Stil produzieren können. Desweiteren möchte ich Ihnen den Besuch einer Kunstakademie nahe legen. Was halten Sie davon?“
    Jess starrte sein Gegenüber verwirrt an, bis Tessa ihn sachte anschubbste.
    „Ich… Herr van Bircken… das wäre… großartig, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll… nur…“
    „Nur?“, wiederholte dieser skeptisch.
    „Ich kann leider nicht studieren gehen“, sagte Jess nun mit hängenden Schultern. „Noch habe ich kein Abitur, und bis es soweit ist, wird einige Zeit vergehen… außerdem… ist so ein Besuch teuer und…“
    Herr van Bircken jedoch winkte ab. „Schnickschnack! Denken Sie, ich wüsste nicht, dass Künstler wie Sie in der Regel arm wie die Kirchenmäuse sind? Das macht einen Künstler in den Anfängen offenbar erst aus!“ Er lachte erneut dröhnend auf und fuhr dann fort: „Und Abitur? Wofür soll das gut sein? Ich selbst habe davon nie etwas gehalten und demzufolge auch selbst keines hinter mich gebracht! Es gibt private Kunsteinrichtungen, die wesentlich effektiver lehren und denen ein solcher Abschluss nicht halb so wichtig ist wie den staatlichen Einrichtungen! Ich möchte Ihnen eine Art Tauschhandel vorschlagen – Sie arbeiten die nächste Zeit in meiner Galerie, ich finanziere Ihnen dafür gerne Ihre Studien! In weniger als zwei Jahren haben Sie damit abgeschlossen. Sie werden Ihre Werke in meiner Galerie immer wieder ausstellen und bekommen einen fairen Provisionspreis an den Gewinnen. Was halten Sie davon?“



    Tessa starrte erst Herrn van Bircken, dann Jess ungläubig an. Ihre Gedanken purzelten nur so in ihrem Kopf herum. Hatte sie sich da gerade verhört? War das ein schriller Traum?
    Jess schienen ähnliche Überlegungen durch den Kopf zu gehen und Tessa wurde mit einemmal bewusst, dass der Galerist immer noch auf eine Erwiderung auf sein großzügiges Angebot wartete.
    Für einen Moment wurde es Tessa angst und bange – was, wenn sich nun wieder Jess´ vermaledeiter Stolz melden und er das Angebot ausschlagen würde, weil er dachte, all dies sei nur Mitleid?
    Sie betete inständig, er möge zumindest darüber nachdenken – in aller Ruhe. Auf der anderen Seite – was gab es da schon nachzudenken? Dieser zugegebenermaßen etwas seltsame, aber durchaus sympathische Mann tauchte hier gerade wie ein rettender Engel aus dem Nichts auf und machte ihm ein durchaus vernünftiges Angebot, etwas, das für Jess der Schritt in ein besseres, selbstbestimmtes Leben mit einer Beschäftigung, die ihm Spaß machte und sein Talent darstellte, bedeuten konnte! So etwas konnte er nicht abschlagen!
    Jess schien nun ebenfalls die Sprache wiedergefunden zu haben und sagte langsam: „Herr van Bircken… ich weiß nicht, ob ich so etwas annehmen kann!“
    „Papperlapapp!“, rief dieser aus. „Sehen Sie mich an, Jess – denken Sie wirklich, ich bin ein Mann, der etwas verschenkt? Machen Sie sich keine Illusionen, ich halte nicht zu viel von Nächstenliebe…“, fuhr er fort, woraufhin seine Frau lächelnd einfiel: „Du bist aber auch kein Unmensch, Eduard… verschreck den jungen Mann nicht.“
    Herr van Bircken sah seine Frau irritiert an und fuhr dann unbeeindruckt fort: „Ich bin vor allen Dingen ein Geschäftsmann, Jess, und ich finde daran nichts verwerfliches. Ich erkenne in Ihren Werken ein großes Maß an Talent, das – richtig gefördert – zu echten Erfolgen führen kann. Sie malen sehr lebensnah und doch mit einem deutlichen künstlerischen Akzent, das mögen die Menschen, haben Sie schon immer gemocht. Wenn Sie noch einige technische Tricks und Kniffe mehr beherrschen, werden Sie sich mit Ihren Werken einen Lebensunterhalt verdienen können – und wenn ich Ihre Werke ausstelle und maßgeblich am Gewinn beteiligt bin, ist das für uns beide eine Win-Win-Situation.“



    „Und ich mache Ihnen nichts vor – ich bin dabei der deutlichste Gewinner. Die paar Studiengebühren, die ich zu entrichten habe für Sie, fallen da nicht ins Gewicht, denn wenn ich Sie auf die Schulen bringe, so brauchen Sie nicht zu glauben, dass dies zum selben Entgelt geschehen wird, wie zu dem, das Sie entrichten müssten. Sie sind sicher kein naiver Mensch, ich denke, Sie könnten sich das denken. Außerdem werden Sie für mich arbeiten – und zwar zu einem weitaus geringeren Lohn als ich meinen anderen Angestellten zahle. Sie zahlen Ihre Studiengebühren sozusagen selbst, gewinnen aber an Erfahrung und haben das Privileg, Ihre Werke nach Absprache mit mir auszustellen und an deren Verkauf zu fairen Bedingungen beteiligt zu werden. Das wird Ihnen fürs erste reichen, um Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, vielleicht sogar für mehr. Nun – was sagen Sie?“
    Jess schien diese Flut an Informationen erst einmal verdauen zu müssen, und alle sahen ihn gespannt an, bis er schließlich seine Hand ausstreckte und die von Herrn van Bircken schüttelte.
    „Ich willige ein, Herr van Bircken!“, sagte er mit erstaunlich fester Stimme. Tessa dachte, man müsse den Stein vom ihrem Herzen fallen hören.
    Amanda und Herbert kamen nun zu Jess und gratulierten ihm erfreut. Tessa stand jedoch still einige Meter entfernt und beobachtete das ganze Schauspiel, völlig geplättet von den Ereignissen der letzten Minuten. Herr van Bircken verabschiedete sich nun ohne jeden Umschweif, versprach, Jess in den nächsten Tagen wegen der Einzelheiten anzurufen und marschierte dann nach einem allgemeinen Gruß nach draußen, während seine Frau Jess herzlich die Hand schüttelte, Amanda umarmte und Tessa freundlich zunickte. Dann verließ auch sie die Wohnung.
    Aufgeregt redeten Tessas Eltern nun aufeinander und auf Jess ein, der ebenso verwirrt zu sein schien wie Tessa und nur auf die Hälfte antworten konnte. Nach einer Weile schienen beide dies zu bemerken und verabschiedeten sich ebenfalls.

  • Eine wohltuende Stille senkte sich über die Wohnung, als das Motorengeräusch ihres Wagens in der Ferne verklungen war. Tessa ließ sich neben Jess auf die Couch sinken und gemeinsam saßen sie eine Weile schweigend da, beide in ihre Gedanken versunken.
    Irgendwann war Jess derjenige, der das Schweigen brach. „Wow!“, stieß er hervor. „War das schräg… wow! Was… was sagst du?“



    Tessa sah ihn nun an und wusste nicht recht, was sie antworten sollte. „Ich… ich weiß nicht“, stieß sie schließlich hervor. „Ich bin völlig durcheinander. Aber wie muss es dir erst gehen?“
    Jess zuckte mit den Schultern und stieß die Luft aus. „Ich… ich weiß auch nicht. Es… ich denke, ich wache jeden Moment aus einem schrägen Traum auf oder so.“
    „Geht mir genauso“, sagte Tessa und lächelte ihn schief an.
    Nun mussten beide zu lachen anfangen.
    „Und? Was hältst du von dem allen?“, fragte Jess, nachdem er sich beruhigt hatte. „Denkst… denkst du, ich war zu voreilig? Ich meine… ich kenne diesen Mann doch gar nicht. Und… normalerweise denke ich gründlich über meine Entscheidungen nach… das ist eigentlich Bestandteil meiner Therapie gewesen, nichts mehr so Hals über Kopf zu entscheiden. Jetzt hab ich es doch wieder gemacht. Was, wenn ich eine falsche Entscheidung getroffen habe?“
    Tessa dachte einen Moment nach und erwiderte dann: „Das ist doch aber etwas anderes hier. Wann bietet sich einem schon einmal solch eine Gelegenheit? Und klar – du kennst diesen Mann kaum, er wirkte doch aber sympathisch, und immerhin kennt ihn meine Mutter gut. Und letztlich hast du doch nichts zu verlieren. Du bist immer noch an der Abendschule eingetragen und bleibst es erstmal, bis du ganz genau weißt, wie es weitergeht. Ebenso mit deinem Job. Wenn sich das alles als Flop herausstellen sollte, hast du nichts verloren, oder? Außer enttäuscht zu sein vielleicht. Aber da meine Mutter die beiden kennt, denke, das ganze ist vertrauenswürdig.“



    „Wahrscheinlich kommt es einem nur so seltsam vor, weil es so aus dem Nichts geschehen ist“, gab Jess ihr recht. „Wusstest du, dass deine Mutter dieser Frau van Bircken Bilder von mir gezeigt hat?“
    „Nein“, erwiderte Tessa wahrheitsgemäß. „Nein, aber wir haben einmal darüber gesprochen, dass sie die Frau eines vielversprechenden Galeristen kennt und darüber, dass sie diese ja einmal wegen dir ansprechen könnte… aber nie ernsthaft, ich wusste nichts genaues darüber. Bist du deswegen sauer?“
    „Nein“, antwortete Jess. „Nein – es wäre mir nur lieber gewesen, wenn ich es gewusst hätte.“
    „Das ist nun einmal meine Mutter“, seufzte Tessa lächelnd. „Manchmal schießt sie zu schnell.“
    „Aber sie meint es ja gut“, nahm Jess sie in Schutz. „Ich meine – wenn sie es nicht gemacht hätte, dann wäre das eben wohl auch nicht geschehen, oder?“
    „Nein, wohl kaum. Aber wie fühlst du dich damit?“
    „Ich weiß nicht… das ist alles noch so surreal für mich. Eine Kunstschule zu besuchen war zwar immer mein Traum, aber… ich dachte nie, dass sich das erfüllen könnte. Und ich dachte auch nie, dass ich wirklich Talent habe. Also vielleicht schon Talent, aber das ist brotlose Kunst, dachte ich. Vielleicht ist es das auch. Vielleicht sollte ich das doch nicht machen, eine vernünftige Ausbildung wäre sicher sinnvoller…“, setzte Jess an.
    „Aber Jess!“, rief Tessa aus. „Nun denk doch mal nach…“



    „Eduard van Bircken ist durchaus ein Name in der Kunst-Szene“, sprach sie dann weiter. „Ich kann ihn nicht genau zuordnen, habe aber schon einmal von ihm gehört. Soweit ich weiß, besitzt er auch mehrere Galerien und ist international unterwegs. Wenn dieser Mann es nicht beurteilen kann, wer dann. Ich denke schon, dass man ihm vertrauen kann, ich glaube nicht, dass er dir Hirngespinste ins Ohr setzen würde, wenn da nicht auch etwas wahres dran ist.“
    Sie sah Jess ernst an. „Er wirkte auf mich wirklich nicht wie ein Menschenfreund. Nicht unbedingt hart oder gar unfair, nein, aber – wie er eben selbst sagte – als Geschäftsmann. Ich denke nicht, dass er auch nur einen einzigen Cent in dich investieren würde, wenn er sich davon nichts verspräche.“
    Jess sah sie nachdenklich an. „Du denkst also wirklich, ich sollte es tun? Wenn er sein Versprechen hält und mir einen Platz an einer Kunstschule besorgt und eine Arbeit bei sich in der Galerie?“
    „Natürlich“, erwiderte Tessa heftig. „Wenn du es jetzt nicht versuchst, wirst du dich dein Leben lang fragen, ob du es nicht hättest schaffen können!“
    „Aber was, wenn ich es wirklich nicht schaffe?“, wandte Jess ein.
    „Dann weißt du es genau“, erwiderte Tessa. „Ich denke, du bist inzwischen gesund genug, um das verkraften zu können. Abgesehen davon glaube ich nicht daran, dass du scheiterst. Du hast dich durch so viel Dreck nach oben gekämpft, schau doch nur, was du im vergangenen Jahr erreicht hast. Du wirst das hier auch schaffen. Und im Gegensatz zu dem, was du bisher getan hast, wird es dir auch noch Spaß machen. Da bin ich sicher.“



    Jess lächelte.
    „Du hast recht – wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Und zurück an die Abendschule kann ich jederzeit gehen! Mir geht dabei nichts verloren! Und einen Job bekäme ich sicher auch irgendwie wieder, wenn da wirklich alles schief gehen würde. Meinst du nicht auch?“
    „Ja, sicher… und wieso sollte es nicht klappen? Die Kunstschule wäre dein Ding, nicht so wie das trockene Algebra-Büffeln im Moment.“
    Jess lachte. „Das stimmt.“
    Er sah Tessa liebevoll an. „Das hab ich alles nur dir zu verdanken. Es ist unglaublich, wie sehr sich mein Leben zum Guten gewendet hat, seit ich dich kenne, Tessa.“
    Tessa lächelte verlegen. „He – hör mal, das ist alles dein Verdienst, Jess. Du selbst hast dich dazu entschieden.“
    „Trotzdem – ich hätte das nie, wenn ich dich nicht gehabt hätte.“
    Er beugte sich nach vorne und küsste sie sacht. „Ich will dir einfach nur danken“, sagte er dann leise.



    Tessa fuhr ihm vorsichtig durchs Haar.
    „Das brauchst du nicht“, flüsterte sie. „Ich hab dir genauso zu danken, denn du hast mein Leben genauso verändert, auch wenn es nicht so offensichtlich sein mag.“
    Er lächelte sie an und fuhr sanft die Konturen ihrer Lippen mit seinem Zeigefinger nach.
    „Ich könnte dich ununterbrochen küssen.“
    „Dann tu es doch.“
    Und während draußen die Sonne hinter den Fassaden der Hochhäuser verschwand, versanken beide in einem langen Kuss, der wie ein Versprechen war für das, was noch kommen würde und das, was sie sich wünschten.




    Fortsetzung folgt.

  • Liebe Innad,


    zuerst einmal auch dir ein frohes neues Jahr! :knuddel


    Ich kann gut verstehen, das das alles noch zu viel für dich ist und du auch noch eine ganze Weile brauchen wirst, es zu verstehen und damit um zu gehen. Glaub mir, ich weiss das. Ich wünsche dir und deinem Mann ganz viel Kraft dafür. :knuddel


    Umso schöner ist es wieder etwas von dir zu lesen und dann gleich auch noch so eine lange Fs. ;)




    Da hat Tessas Mutter aber einen schönen Alleingang gemacht, das hätte auch gut nach hinten los gehen können. Umso besser das sie Jess vorher nichts davon erzählt hat.


    Es ist gut nach zu vollziehen wie sehr er damit überrumpelt worden ist, das hast du wirklich klasse beschrieben. Und auch mir kam spontan in den Sinn, das er ja nicht unbedingt der Typ ist der sich gerne helfen läßt. Aber GsD hat er seinen Stolz hinten angestellt und hat das Angebot angenommen. Denn Tessa hat recht, wie oft bekommt man schon solch eine Gelegenheit im Leben. Und wenn es nicht klappt kann er immer noch auf seinen bisherigen Plan zurück greifen. Obwohl ich mal ganz stark davon ausgehe, das es ein voller Erfolg für ihn werden wird. ;)

    My Name Is Love - Nina Love

  • huhu...
    schön das du wieder da bist...


    ist wirklich eine tolle fortsetung, jetzt wird jess traum doch noch wahr...
    mal sehen wie es ihm auf der kunstschule gefällt,
    vielleicht merkt er da ja dann das das garnicht sein ding ist,
    kann ja auch sein...
    aber ich denke nicht, er liebt es einfach zu malen...


    freue mich auf den nächsten teil
    lg
    Lilith

  • @NinaLove: Danke für Deine lieben Wünsche, das kann ich gut gebrauchen. Ja, Tessas Mutter hat da mal wieder eine ihrer berühmten Aktionen gestartet, aber evtl. kann man diesmal sogar von profitieren, wer weiß... die nächste Fortsetzung wird es dann auch verraten.



    LadyLilith: Natürlich könnte es auch sein, dass Jess sich gar nicht wohl auf der Kunstschule fühlt, er kann da ja auch wieder mit seiner Vergangenheit konfrontiert werden usw. Aber grundlegend ist es sicher sein Ding, ja.




    Ich hoffe, die lange Pause hat euch restlichen Leser nicht verjagt, denn die recht wenigen Kommis haben mich jetzt schon nachdenklich gemacht, aber vermutlich liegt es an vielerlei anderen Gründen. Ich hoffe jedenfalls, dass alle Leser/innen, die schon so lange dabei sind, das Finale noch mitmachen werden, nach so langer Zeit wärs ja sonst echt schade drum.


    Die nächste FS versuche bis Mitte nächster Woche zu bringen.

  • Liebe Innad!

    NATÜRLICH sind wir noch dabei! (Zumindest isch..)

    Und auch ich fand es sehr schön, wieder von dir zu hören.
    Dann auch noch mit so einer positiven, zukunftsfrohen FS.

    Jess künstlerische Begabung ist ja schon immer ein essenzieller Teil seines Wesens, dass er auch noch erkennt, dass es ein wesentlicher Teil seines Lebens sein kann (wenn nicht sogar muss) und wie er es zuwege bringt, darauf habe ich im Stillen schon lange gewartet.
    Wie du es anlegst, war nur die Frage.
    Nun kam alles sehr harmonisch und in idealer Fügung.
    Tessas Mama hat es elegant eingefädelt, wohl ein wenig sehr eigenmächtig, aber vor Ort hat sie sich ja wirklich zurück gehalten.
    Und Jess war überlegt genug, nicht seinem aufbrausenden Stolz zu gehorchen.
    Der Fachmann war auch spontan sehr überzeugt von dem Potential, das er da sah und Jess konnte angesichts der Fachmeinung und des Lobes über die überrumpelnde Starthilfe hinwegsehen und den gut durchdachten Hilfsplan ohne verletzte Eitelkeit annehmen.
    (Wie hätten das bloß geendet, wenn Jess Bilder in den Augen des Galleristen nicht gehalten hätten, was die Mama versprochen hat... )
    Man erkennt wieder schön in allen Personen die Entwicklung, die sie durchgemacht haben.
    Klar kommen mit dem Studium neue, vielleicht schwierige Situationen auf Jess zu, aber ob er die Schule nun beendet oder nicht, ich bin überzeugt, dass das Malen Jess´ Zugang zum Leben ist und er sich seine Existenz darum herum aufbauen wird.

    Freue mich auf die Fortsetzung...

    [center]I scream, you scream, we all scream for ice cream [/center]

    [center]I still want to find a real good book and never have to come out of it.[/center]

  • Liebe Innad


    Ich freue mich sehr, dass du trotz deinem Schmerz und deiner Trauer weitergeschrieben hast! Vielleicht ist ja das Schreiben auch ein bisschen eine Hilfe oder Ablenkung.


    Wegen den wenigen Kommis musst du dir keine Sorgen machen. Es lesen bestimmt noch alle mit, aber ich habe fest gestellt, dass allgemein weniger geschrieben wird.


    Also und nun zu Tessa und Jess: ein super Kapitel hast du uns hier präsentiert!:applaus Jetzt hat Jess endlich eine Perspektive, ein Ziel, auf das er sich konzentrieren kann! Obwohl er ja zu Beginn noch zögerte, hat er schliesslich eingesehen, dass es keine Almosen sind, die ihm hier geboten werden, sondern ein knallhartes Geschäft. Das haben Tessas Eltern wirklich mal sehr gut eingefädelt, muss ich ihnen zugestehen! Es war ja schon eine Gratwanderung, man konnte nicht wissen, wie Jess reagieren würde, aber so, wie sie das organisiert haben, ist es einfach perfekt!


    Du hast ja was geschrieben, dass es langsam zu Ende geht mit deiner FS, und nun frage ich mich, ob es doch noch ein Happy End geben wird, ob die beiden zusammen bleiben, oder doch getrennte Wege gehen, sobald Jess wirklich auf eigenen Füssen stehen wird. Auf jeden Fall habe ich ein gutes Gefühl für ihn!


    Freue mich schon auf die Fortsetzung!


    Liebe Grüsse, :liebe
    Jane

  • Josijusa: Schön, dass Du mit dabei bist nach wie vor!
    Ja, das stimmt, das Malen ist durchaus ein essentieller Teil von Jess Wesen und wenn er damit verdienen kann, wäre das für ihn natürlich das NonPlusUltra eigentlich. Und ich muss Dir recht geben, Tessas Mutter hat das ganz geschickt gemacht, auch sie hat sich sichtbar entwickelt mit der Situation! Danke für Deinen Kommi!



    Jane: Schön von Dir zu lesen! Ja, das Schreiben lenkt ein wenig ab , tut ein wenig gut, sagen wir es mal so...
    Du hast auch recht, was Du zu dem schreibst, wie Jess hätte reagieren können. Da konnte man schon einen Moment den Atem anhalten, ob sein alter Stolz wieder hochkommt oder nicht. Aber vielleicht haben ihm die Monate halt auch den Auftrieb und das Selbstbewusstsein gegeben, dass er das nicht mehr braucht, weil er nicht ständig das Gefühl hat minderwertig zu sein und vor allem und jedem bemitleidet zu werden. Zumal der Galerist ja gar nicht von seiner Vergangenheit wusste, davon kann man ausgehen und ihn völlig neutral betrachtet hat.


    Du hast recht, wir marschieren aufs Ende zu... ob Dich Dein gefühl täuscht oder nicht, wirst Du sehen :)





    Ja... nun ist es soweit, das hier ist das vorletzte Kapitel von "Tiefer" *wehmütigwerde*


    Beim nächsten Mal dürft ihr euch bereits auf das Finale freuen, das vermutlich aus ZWEI Teilen bestehen wird.


    Also, dann genießt sozusagen die letzte "richtige" Fortsetzung. Das Finale wird dann irgendwann Mitte Februar kommen.

  • Kapitel 94
    Schatten der Vergangenheit



    „Sag mal, Süße, was machst du denn hier?“
    „Ich suche einen Mann… er heißt Jess. Weißt du vielleicht, ob er hier ist?“
    Tessas Stimme klang hohl und leer. Die Augen ihres Gegenübers verengten sich zu Schlitzen.
    „Nein, der Name sagt mir nichts“, die Stimme des Mannes war schwer, träge. „Aber du solltest lieber verschwinden. Das hier ist kein Ort für dich, Prinzesschen! Es sind nicht alle hier so nett wie ich!“
    Tessa schüttelte unmerklich den Kopf. „Nein… nein… ich kann nicht gehen, erst muss ich Jess finden.“
    Der Mann sprang auf und begann zu schreien. „Verstehst du nicht, dass du verschwinden musst! Du musst verschwinden!“



    Tessa stöhnte, als sich die Konturen des Gesichts vor ihren Augen mit seltsamen Farben vermischen zu begannen.
    „Ein Höllentrip, was?“, hörte sie die Stimme des Mannes lachen. „Nun siehst du einmal selbst, wie es ist, high zu sein. Hast du etwa jemals gedacht, er würde für dich clean werden? Hast du das etwa jemals ernsthaft angenommen? Du selbst bist stattdessen süchtig geworden.“
    Jess Gesicht tauchte vor Tessas Augen auf, verschwommen und verzerrt.
    „Er hat recht, Tessa“, seine Stimme klang gutmütig. „Er hat recht. Du solltest gehen.“



    „Gehen? Aber wohin?“, fragte sie tonlos. „Welchen Platz gibt es für mich? Hab ich mich verloren?“
    „Verloren?“

    „Verloren?“



    „He, Prinzesschen“, zerschnitt eine kräftige Stimme die Luft. „Schön, dich wiederzusehen. Diesmal wirst Du mir nicht entkommen.“
    Tessa fuhr herum. Blickte in zwei Augen voller Gier, Hass und Rachsucht.



    „Diesmal wird dir niemand helfen“, hörte sie den Mann zufrieden sagen.
    „Diesmal sind wir beiden völlig alleine. Du und ich. nur wir beide.“



    Sein Gestank drang in ihre Nase. Sein fauliger Atem ließ Übelkeit in ihr aufsteigen.
    Sie spürte seine Finger, auf ihrer Haut, auf ihrer Seele.
    „Nein! Nein!“, wollte sie rufen, doch ihre Stimme war erstickt.



    „Willst du dich nicht wehren, Zuckerpüppchen?“ Sein Lachen dröhnte in ihren Ohren.
    Kämpfen? Wofür? Wehren? Wozu?
    „Alles… so sinnlos“, flüsterte sie. „Alles… so sinnlos.“
    Ihre Knie wurden weich, die Welt begann sich zu drehen, immer schneller und schneller. Mit einem dumpfen Schlag lag sie auf dem Boden.
    Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete sich mit seltsamer Distanz.



    War sie das? Was war geschehen?
    War sie nun tot? Oder noch lebendig?


  • „Neiiiiin!“
    Ein Schrei löste sich aus ihrem Mund und sie fuhr hoch. Durchnässter Stoff klebte an ihrer Brust, an ihrem Bauch. Die Haare im Nacken waren feucht geworden. Sie atmete schwer.



    Tessa blickte sich unruhig im dunklen Raum um, der nur vom durchs Fenster fallende Mondlicht und dem grünlichen Schimmer ihres Radioweckers erhellt wurde. Ihr Herz raste in ihrer Brust, sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und atmete weiterhin schwer und mit offenem Mund.
    „Tessa?“
    Verschlafen richtete Jess sich neben ihr auf.



    „Tessa?“, fragte er noch einmal, nun mit deutlicher Besorgnis in der Stimme, schob die Decke zurück und setzte sich auf. „Tessa? Was ist los?“
    Tessa drehte sich langsam zu ihm. „Ich… ich…“, stammelte sie und fand keine Worte.
    „Wieder dieser Traum?“, fragte Jess einfühlsam.
    Zitternd nickte sie und er zog sie ungefragt in die Arme. Allmählich löste sich ihre Anspannung in heiseres Schluchzen.
    Jess blieb ruhig neben ihr sitzen, streichelte sachte über ihren Kopf und Rücken und wiegte sie hin und her, bis sie sich beruhigt hatte.
    Dann knipste er das Licht an, zog sie wieder in seine Arme und sagte leise: „Besser?“



    Langsam nickte sie. „Ja… ein bisschen“, schniefte sie. Jess küsste sie sacht auf die Schläfe.
    „Es ist immer dasselbe“, flüsterte Tessa. „Immer wieder bin ich in dieser Ruine auf der Suche nach dir. Und dann kommt… er… und…“
    Sie konnte nicht weitersprechen und schluckte hart.
    „Ich weiß“, flüsterte Jess leise. „Ich weiß. Ich muss auch immer wieder daran denken.“
    Liebevoll sah er sie an. „Ich danke Gott noch heute dafür, dass ich dich rechtzeitig gefunden habe.“
    Sie nickte. „Ich auch…“, sagte sie leise.
    „Es tut mir so leid, dass du das durchmachen musstest“, sagte Jess traurig – wie schon etliche Male.
    „Mir auch“, flüsterte Tessa. „Aber du kannst nichts dafür. Es … tut mir so leid, dass ich dich immer wieder daran erinnere. Aber gerade in letzter Zeit kommt alles wieder hoch, ich weiß nicht, wieso.“
    Jess zog sie dichter an sich. „Du weißt doch, dass du diesen Traum immer öfter hast, wenn du unter Stress stehst, Tessa. Deine bevorstehenden Abschlussprüfungen sind es, die dich so quälen. Du bekommst zu wenig Schlaf und Abwechslung, bist den ganzen Tag nur am Lernen. Deswegen kommen deine Alpträume wieder aus deinem Unterbewusstsein hoch gestiegen.“



    Tessa seufzte. „Ich wünschte, ich hätte all das schon hinter mir.“
    „Nur noch ein paar Wochen, dann hast du dein Diplom in der Hand und kannst all das hinter dir lassen“, sagte Jess aufmunternd und strich ihr über die Schultern.
    „Du bist so optimistisch“, klagte Tessa. „Ich weiß nicht, wie ich das alles schaffen soll. Ich fühle mich dem einfach nicht gewachsen. Schon gar nicht, wenn diese Träume immer wieder kommen und mir die Nacht ruinieren.“
    Sie blickte auf die Uhr. „Es ist vier Uhr in der Früh… ach verdammt, du hast heute ja eine Prüfung in der Kunstschule. Du brauchst deinen Schlaf.“
    Jess winkte ab. „Mach dir um mich mal keine Gedanken, ich schaff das schon. Ich bin wenig Schlaf gewöhnt und die Prüfung wird ein Klacks werden, ich bin bestens vorbereitet. Du stehst zurzeit viel mehr unter Stress als ich. Du bist es, die Schlaf braucht. Musst du nachher zur Uni?“
    Tessa seufzte. „Ja, leider… ich muss unbedingt in die Bibliothek, einige Dinge recherchieren.“



    Jess nickte. „Wie lange brauchst du?“
    „Weiß nicht, ein paar Stunden“, erwiderte Tessa müde.

    „Pass auf, Schatz“, sagte Jess nachdenklich. „Ich bin gegen zwei Uhr zu Hause, vielleicht schaffst du das auch, mh? Und danach nehmen wir uns beide den Rest vom Tag frei – keine Widerrede! Du legst dich heute Nachmittag ein Stündchen hin und holst Schlaf nach und dann machen wir uns einen schönen Nachmittag, vielleicht können wir heut Abend sogar ins Kino gehen, mh?“
    Tessa schüttelte den Kopf. „Nein – nein, ich muss noch so viel lernen, Jess…“
    „Tessa, du brauchst mal eine Pause. Verordnung von mir, klar, keine Widerrede!“ Er zwinkerte und Tessa lachte leise auf.
    „Na gut… du hast wahrscheinlich recht. Aber nur heute. Morgen muss ich wieder Gas geben.“



    Jess nickte. „Das ist genehmigt. Und nun sollten wir versuchen, noch ein wenig zu schlafen, mh? Meinst du, das geht?“
    Tessa nickte langsam. „Ich denke schon… Jess?“
    „Ja?“
    „Denkst du wirklich, dass ich das schaffe? Das Diplom mein ich?“

    Jess fuhr ihr sachte durchs Haar. „Tessa – natürlich schaffst du das. Hab ein bisschen mehr Vertrauen in dich.“
    Tessa lächelte und schmiegte sich an ihn.
    „Ich fühl mich so geborgen bei dir“, flüsterte sie schläfrig.
    Jess lächelte und hob ihr Kinn nach oben. „Genauso soll es sein“, sagte er leise. „So hätte es schon immer sein sollen.“
    Sie lächelten sich an und küssten sich lange.


    „Und nun lass uns noch ein wenig schlafen“, sagte Jess sanft, hob die Bettdecke an, so dass Tessa zu ihm schlüpfen konnte, zog sie in seine Arme und löschte das Licht. Wenige Minuten später waren sie wieder eingeschlafen. Und diesmal blieben die Schatten der Vergangenheit still, bis die Sonne aufging und beide zu einem neuen Tag wachküsste.







    Fortsetzung folgt.

  • Ich oute mich dann auch mal als stille Mitleserin.


    Ich glaube du hast mehr Leser als du denkst.


    Ich freue mich immer wieder wenn du meine Mittagspause mit deiner so "echt" wirkenden FS versüßt. Ich habe so mit Tessa mitgefiebert, dass Jess nicht tot ist und dass er den Entzug schafft. Und das jetzt alles so toll bergauf geht, und er jetzt sogar noch seine Träume verwirklichen kann. Oh ich hoffe da kommt jetzt nichts mehr dazwischen.


    Oder du jetzt dem ganzen noch die Haube auf und wir erleben noch eine Hochzeit und dass Tessa schwanger ist.....


    Ganz ganz großes Kino... einer der besten FS´s die ich je gelesen habe.



    Sarah

  • Die Geschichte von damals hat bei Tessa bedeutend tiefere Spuren hinter lassen als angenommen. :(
    Klar das sie das alles nicht so einfach vergessen kann, dafür war das Erlebnis viel zu einschneidend. Trotzdem ist es schlimm das sie durch ihre Träume immer wieder daran erinnert wird. Gut das Jess bei ihr ist, das gibt ihr den nötigen Halt den sie so sehr braucht. Schön ist es auch, das sie nun endlich in der Lage ist, ihm und vor allem sich selbst einzugestehen das sie nicht immer die Starke sein muss, sondern sich auch mal vertrauensvoll an ihn wenden kann, wenn es nötig ist.
    Ich denke die beiden haben eine glückliche Zukunft vor sich. Denn trotz allem was sie durch gemacht haben - oder auch gerade deshalb - können die beiden sich hundert Prozent aufeinander verlassen.



    Schön das Jess sein Kunststudium angenommen hat, er wird sicher erfolgreich darin sein. Und wenn Tesse ihr Diplom hat stehen den beiden alle Wege offen. Das haben sie wirklich verdient.



    Innad Ein riesen großes Lob an dich für diese tollen Bilder, die hast du super bearbeitet!!! Man kann richtig mitfühlen wie es Tessa ergeht. :applaus :applaus :applaus :applaus :applaus :applaus :applaus

    My Name Is Love - Nina Love

  • Huhu Innad,


    Tut mir Leid, dass ich mich jetzt erst melde, aber leider hatte ich in letzter Zeit einfach kaum Zeit. Gelesen hatte ich die beiden Fortsetzungen schon vor ein paar Tagen und mich gefreut, dass es wieder weiterging. :)


    Das war aber wirklich eine eingermaßen riskante Überraschung von Tessas Mutter. Das hätte auch gut und gerne nach hinten losgehen können, aber ich finde es zeigt auch, wie sehr Jess gewachsen ist in den letzten Monaten. Er ist lange nicht mehr so stur und weiß inzwischen, dass man sich auch helfen lassen kann. Und das Angebot von dem Galerieheini war auch wirklich zu gut, um es auszuschlagen. *g*
    Und es zeigte auch, dass Tessas Eltern Jess als Lebenspartner von Tessa voll akzeptiert haben, denn für jemanden, den man nicht in der Familie haben möchte würde man nicht versuchen die Perspektive so entscheidend zu verbessern.


    Das Tessa das Erlebnis in dem alten Gebäude immer noch nachhängt und gerade in Stresssituationen zu Alpträumen führt, ist doch verständlich. Es war eine schreckliche Erfahrung für sie und sowas vergisst man nicht so leicht, auf jeden Fall das Unterbewusstsein nicht. Aber zum Glück ist Tessa damit nicht allein gelassen, ich glaube es wäre noch viel schlimmer für sie, wenn Jess nicht mehr an ihrer Seite wäre um sie nach solchen Träumen zu halten und zu trösten. :)
    Auf jeden Fall haben mir die Anfangsbilder dieser Fortsetzung ganz toll gefallen. Du hast es toll hingekriegt die Stimmung mit der Bildbearbeitung einzufangen und es sah wirklich aus wie im Alptraum. :up


    Und nun bin ich schon ganz gespannt auf das große Finale, wenn auch mit einer Träne im Auge, weil es dann nicht mehr weitergeht. Aber alles hat ja mal ein Ende und ich rechne doch damit, dass es auch ein gutes Ende wird. :)
    Ganz liebe Grüße :knuddel
    Llyn

    You are never more alive than when you're about to lose your pants!



    FS: Sunrise Update: 04.06.19