[Fotostory] Tiefer als der Schmerz

  • Kapitel 57
    Clean




    Die beiden Frauen standen einige Sekunden schweigend und bewegungslos voreinander, dann löste sich ihre überraschte Anspannung in einem leichten Lachen und sie umarmten sich herzlich, fast wie alte Freundinnen.



    „Meine Güte, Jasmin“, stieß Tessa dann hervor und musterte ihr Gegenüber erstaunt. „Ich hätte dich wirklich kaum wieder erkannt. Du siehst völlig verändert aus… viel besser als vor einem Jahr.“
    Jasmin lächelte. „Ja, es ist auch viel passiert in diesem Jahr, weißt Du. Aber auch du hast dich sehr verändert, Tessa. Ich hätte dich ebenfalls kaum erkannt.“



    „Was ist in diesem Jahr geschehen?“
    Die beiden schauten sich einen Moment verblüfft an und mussten dann ob der Tatsache, dass aus ihren beiden Mündern dieselbe Frage zeitgleich gedrungen war, laut auflachen.
    „Sag du zuerst“, kicherte Tessa dann und sah Jasmin fragend an. Sie versuchte, ihr wild klopfendes Herz zu beruhigen. Dass Jasmin ausgerechnet jetzt auftauchte – und so verändert… der einzige Mensch, den sowohl sie als auch Jess gekannt hatte…
    Die Fragen in ihrem Kopf ließen sich kaum nach hinten drängen… wusste sie etwas über Jess? Konnte sie ihr vielleicht sogar sagen, wo er sich aufhielt?
    Doch Tessa drängte das Bedürfnis, Jasmin sofort mit ihren Fragen zu bestürmen, zurück und hörte ihr so aufmerksam wie möglich zu, als sie zu erzählen begann.

    „Ich habe Ende Februar eine Erziehungskur angefangen“, begann Jasmin und sah Tessa offen an. „Es war hart, aber ich hab diesmal durchgehalten.“
    „Das find ich wunderbar“, erwiderte Tessa aus vollem Herzen, auch wenn irgendein stachliges, kleines Ungeheuer in ihr schrie: „Warum du und nicht Jess?“
    Schnell schleuderte sie diese ungebührlichen Gedanken ab und wandte sich wieder Jasmin zu.
    „Wie ist es dazu gekommen?“



    „Irgendwann im Februar kam plötzlich ein Sozialarbeiter auf mich zu, ein Streetworker“, erklärte Jasmin ruhig. „Er war ganz nett und verständnisvoll und hat eine Weile bei uns in der Gruppe verbracht. Irgendwann hat er mich zur Seite genommen und mir gestanden, dass er mich gesucht habe… weil meine Mutter diese wohltätige Firma, für welche die Streetworker arbeiten, kontaktiert hat.“
    Tessa sah Jasmin erstaunt an. Sie konnte sich noch gut an deren Geschichte erinnern, von der schwachen Mutter, die gegen ihren neuen und offenbar alkoholsüchtigen Freund nicht ankommen konnte, so dass Jasmin das Weite gesucht hatte.
    Jasmin beobachtete ihren Gesichtsausdruck und nickte. „Ja, ich war ähnlich erstaunt, hat es meine Mutter doch so lange offenbar nicht wirklich gekümmert, was aus mir geworden ist. Aber sie hat sich geändert, Tessa. Ihren alkoholsüchtigen Freund endlich in die Wüste geschickt, ihr Leben in die Hand genommen und nun wieder eine Arbeit gefunden und eine hübsche neue Wohnung. Ihr tat es so leid, dass sie mich damals im Stich gelassen hat. Sie sagte, sie habe immer an mich gedacht und einige Male auf eigene Faust versucht, mich zu finden. Aber ihr war ja klar, dass ich nicht zurück komme, so lange er noch da ist… und offenbar stand auch sie in unter seinem Scheffel und musste Angst haben… aber irgendwann war der Mut wohl groß genug, und sie hat ihn angezeigt, nachdem er sie einmal geschlagen hatte…“
    Tessa schluckte. Immer wieder schockierte sie es zu hören, wie furchtbar der Alltag mancher Menschen war. Ihr eigenes Leben erschien ihr in diesem Moment einmal mehr wie das Leben im Schlaraffenland.



    „Naja – jedenfalls hat meine Mutter mich dann also mithilfe der Streetworker-Gemeinschaft gesucht. Und einer von ihnen hat mich gefunden und ein Treffen mit ihr organisiert. Sie hat sich so verändert, Tessa… und mir all ihre Hilfe angeboten. Ich glaube, das hat mir letztlich die Kraft gegeben, noch einen Entzug zu versuchen. Ich bin in eine Klinik gegangen und habe dort ein Vierteljahr verbracht. Danach bin ich wieder zu meiner Mutter in ihre neue Wohnung gezogen und seither besuche ich weiterhin einmal wöchentlich eine Therapeutin. Manchmal kommt Mama mit, denn auch sie hat eingesehen, viele Fehler gemacht zu haben. Ich bin jetzt also seit fast einem Jahr clean.“
    Tessa lächelte sie herzlich an. „Mein Gott, Jasmin, das freut mich so für dich, dass sich alles so zum Guten entwickelt hat… wirklich. Wie geht es jetzt weiter?“
    Jasmin zuckte mit den Achseln, lächelte aber. „Weißt du, im Moment genieße ich einfach nur mein neues Leben. Endlich wieder ein warmes, weiches Bett zum Schlafen, schöne Kleider und eine ordentliche Frisur“, sie wies auf ihre kurzgeschnitten, mit einem Haarband zurückgehaltene Haare. „Gerade anfangs erschien mir all das einfach nur paradiesisch.“



    „Wir sind auf einem guten Weg, Mama und ich“, fuhr sie dann fort. „Ich werde im Sommer wohl anfangen, meinen Realschulabschluss nachzuholen und versuche danach, irgendwo eine Lehre zu machen, ich hoffe, ich werde noch genommen, aber ich bin ja noch nicht so alt… nur meine Vergangenheit könnte halt ein Problem werden.“
    Tessa ergriff spontan Jasmins kalte Hände und drückte sie. „Das wird schon, Jasmin. Ich bin da guter Dinge. Es wird Menschen geben, die sehen, was du durch den Entzug und die Rückkehr ins Leben geschafft hast, und nicht, was du nicht geschafft hast. Bestimmt…!“
    Jasmin lächelte. „Du bist so lieb, Tessa. Das warst du schon immer. Und ich hoffe, du hast recht, bin aber selbst ganz optimistisch. Mama verdient inzwischen ganz gut, und ich denke, ich kann zur Not auch noch ein paar Jahre bei ihr wohnen, wenn alles so läuft. Irgendwann finde ich schon eine Lehrstelle. Aber nun mal genug von mir. Was ist mir dir geschehen? Wie geht es Jess?“
    Tessa schluckte und sah Jasmin betroffen an. „Ich… ich hab gehofft, dass du mir das sagen könntest…“, stammelte sie hilflos.



    Jasmin sah sie verwirrt an. „Oh… ich? Nein, Tessa, ich war doch schon seit fast einem ganzen Jahr nicht mehr in der Szene… ich habe Jess schon so lange nicht mehr gesehen… aber ich dachte, er wäre bei dir, habe es auch geschafft…“
    Tessa schüttelte traurig den Kopf. „Nein… nein… hat er nicht. Er hat es versucht…“
    Jasmin sah sie mitfühlend an. „Ich weiß nur noch, dass ich dich damals im Bahnhof gefunden hab und du nach ihm gesucht hast. Nachdem du weggelaufen bist, hab mich mir große Vorwürfe gemacht. Aber die beiden Jungs, mit denen Jess bei den Hellows untergetaucht ist, sind einen Tag später zurück gekommen und haben erzählt, dass ein fremdes Mädchen, das ganz sicher nicht der Szene angehört, in den Unterschlupf der Hellows eingedrungen ist und es dort Ärger gab und dass Jess etwas davon gesagt habe, sie sei seine Freundin und mit ihr abgehauen wäre… die Jungs konnten sich irgendwie aus der Sache heraus schlängeln, sind danach aber dann doch lieber untergetaucht… mit den Hellows war nie zu spaßen. Jedenfalls hab ich eins und eins zusammengezählt und wusste natürlich, dass du das warst, da bei den Hellows.“ Sie sah Tessa angsterfüllt an. „Mensch, Tessa, wenn ich geahnt hätte, dass du dahin gehst, hätte ich dir nie was gesagt. Das war verrückt!“
    Tessa nickte. „Ich weiß“, seufzte sie und dachte mit Schaudern an jene Nacht zurück, die, wie sie heute wusste, eigentlich nur der Anfang vom Ende gewesen war. „Es war eine Kurzschlussreaktion…“



    Jasmin nickte und sah sie fragend an. „Da Jess nicht zurück kam, bin ich also davon ausgegangen, dass er bei dir untergetaucht ist… vermutlich sogar entzogen hat, denn um an Drogen zu kommen, hätte er ja irgendwann doch wieder in die Szene zurückkommen müssen… vermutlich zumindest.“
    Tessa schüttelte erneut traurig den Kopf. „Nein, Jasmin. Du hast insofern recht, dass dieses Ereignis ihn für eine Weile wachgerüttelt hatte und er beschlossen hat zu entziehen… allerdings nicht in einer Klinik, sondern bei mir zu Haus.“
    Jasmins Augen weiteten sich und sie sah Tessa beklommen an.
    „Du hast ihn doch hoffentlich von diesem Wahnsinn abgebracht?“



    Tessa seufzte. „Ich dachte, wenn ich ihn dazu zwinge, in eine Klinik zu gehen, überlegt er es sich womöglich doch noch anders. Naja – lange Rede, kurzer Sinn… es hat nicht funktioniert und eines Morgens war er fort…“ Sie sah Jasmin traurig an. „Ich hab ihn seitdem nicht mehr gesehen.“
    Die beiden schwiegen einen Moment betroffen. Dann hob Jasmin wieder die Stimme.
    „Und wann war das?“
    „Jess ist am dreizehnten Februar abgehauen“, erwiderte Tessa mit fester Stimme.



    *geht noch weiter*

  • Jasmin seufzte. „Ich habe am fünfundzwanzigsten Februar mit der Entziehungskur begonnen“, sagte sie. „Solange habe ich mich noch in der Szene aufgehalten, aber ich hab Jess nie mehr gesehen…“
    Tessa schluckte beklommen. „Was denkst du, was das heißt?“



    Jasmin seufzte. „Ich weiß es nicht. Im Bestfall war er schlau genug, sich nur den ersten, nötigen Vorrat an Drogen in dieser Stadt zu besorgen und dann irgendwo unterzuschlüpfen, am besten in einer anderen Stadt, am besten so weit weg wie möglich. Denn auch in den Nachbarstädten haben die Hellows oft Spitzel.“
    Tessa nickte. „Das hab ich mir auch gedacht…“
    Jasmin sah sie aufrichtig an. „Aber vielleicht ist er auch zurück gegangen und sie haben ihn gefunden, Tessa…“
    „Denkst du denn, sie haben ihn umgebracht?“ erwiderte Tessa mit zittriger Stimme.
    Jasmin zuckte die Schultern. „Denen ist alles zuzutrauen. Sie sind brutal. Aber umbringen tun sie nur in den seltensten Fällen… trotzdem… ich meine, es war Winter, Jess war nicht gerade in der besten Verfassung… es würde schon reichen, wenn sie ihn nur zusammengeschlagen und irgendwo liegen lassen haben. Er wäre nicht der erste, der erfroren ist.“
    Sie sah Tessa mitfühlend an. Diese schüttelte jedoch den Kopf und berichtete von ihren Nachforschungen in der Drogenbehörde.
    Jasmin seufzte. „Das ist ein Hoffnungsschimmer, Tessa, aber die wissen auch nicht über jedes Opfer Bescheid… manchmal verschwinden Menschen sozusagen einfach“ Sie schwiegen wieder einen Moment, dann fiel Tessa etwas ein.
    „Jasmin – du sagtest, deine Mutter habe dich durch einen Streetworker gefunden. Wäre das nicht auch eine Idee, um Jess zu finden?“



    Jasmin schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, Tessa… ich denke nicht, dass die was rausfinden würden. Weißt du… meine Mutter wusste sehr viel über mich… sie hatte Fotos und all sowas. Aber was wüsstest du schon über Jess, außer dass er Heroin nimmt, wie er heißt und dass er gut malen kann… ich habe mich mit den Streetworkern unterhalten und sie sagen, dass sie nur eine Chance haben, die Leute zu finden, wenn sie sehr, sehr viel über sie wissen und sie sich dazu noch in derselben Stadt und in der öffentlichen Szene aufhalten. Aber wenn Jess irgendwo untergetaucht ist, wird ihn kein Streetworker finden können. Schon gar nicht mit den wenigen Informationen, die du über ihn hast. Und ich kann dir auch nicht helfen, denn ich weiß auch nicht viel mehr von Jess.“
    Tessas Herz sank, dann fiel ihr noch etwas ein. „Aber er hat doch eine Großmutter, oder? Im Altersheim…“
    Jasmin schüttelte den Kopf. „Sie ist vergangenes Jahr gestorben, kurz vor Weihnachten. Hat er das nicht erzählt?“



    „Was? Nein… nein, das hat er nicht…“, stammelte Tessa schockiert. „Aber wieso nur nicht?“
    Jasmin sah sie ratlos an. „Vielleicht wollte er dich nicht damit belasten. Sie hat ihm nichts hinterlassen… ich glaube, er hat eine Weile darauf gehofft, dass sie ihm irgendetwas vererbt oder so… vielleicht hätte er dann eine Hoffnung auf ein neues Leben gehabt. Aber sie war wohl am Ende selbst schon ein Sozialfall. Und Jess hat nur von ihrem Tod erfahren, weil er sie vor Weihnachten immer besucht hat… einmal im Jahr. Obwohl sie ihn natürlich gar nicht mehr wirklich erkannt hat…“
    Tessa fühlte einen scharfen Stich in ihrer Brust. Wieso hatte Jess ihr das nicht erzählt? Wieder einmal wurde ihr bewusst, wie wenig sie wirklich von ihm gewusst zu haben schien. Alles an ihrer Beziehung war seltsam gewesen, fast verquer.
    „Wenn wir noch mal von vorne anfangen könnten, würde ich alles anders machen“, seufzte sie leise.

    „Was sagst du?“
    Tessa sah Jasmin traurig an. „Ach nichts … ich glaube nur, ich hab nicht genug über Jess gewusst.“



    Jasmin sah Tessa offen an. „Tessa – ich hoffe, du weißt trotzdem, was du Jess bedeutet hast. Er hat dich wirklich über alles geliebt, Tessa. Das hat er mir so oft gesagt, und das hat man auch gespürt. Ich habe wirklich für ihn gehofft, dass er in dir die Perspektive findet, die ihn aus allem herausbringt. Aber der Kampf gegen die Drogen ist hart…“, sie seufzte. „Und er hört niemals auf.“
    Tessa nickte abwesend. „Und offen gestanden, Tessa… ich weiß, dass dir das weh tun wird, aber ich muss es sagen. Jess war schon eine Weile bevor ihr euch getroffen habt, heroinsüchtig… es ist nun ein weiteres Jahr vergangen und… ich will damit nur sagen, dass…“, ihr fiel es schwer, die Wahrheit auszusprechen. „Tessa… die wenigstens überleben das so lange.“ Es herrschte eine Weile Schweigen zwischen beiden, Tessa starrte auf den Boden und sah wie versteinert aus. Sie wusste, dass Jasmin recht hatte. Darüber nachgedacht hatte sie selbst schon so oft. Langsam nickte sie und flüsterte leise. „Ich weiß… ich käme wohl ohnehin zu spät.“


    *geht noch weiter*

  • „Hör zu, Tessa“, fuhr Jasmin fort und sah sie fest an. „Mach dir bitte keine Vorwürfe, dass Jess abgehauen ist. Und stell nicht seine Liebe in Frage deshalb. Es hat nichts miteinander zu tun, wirklich nicht. Ich spreche da aus Erfahrung…“
    Sie lächelte Tessa mitfühlend an. „Was hast du gemacht, nachdem er fort war? Geht es dir inzwischen besser? Du siehst eigentlich sehr gut aus… ganz anders als im Vorjahr.“



    „Nun, nach einer Weile hab ich wohl eingesehen, dass ich irgendwie weiterleben muss“, seufzte Tessa und sammelte sich wieder, ehe sie mit fester Stimme weiter sprach: „Ich vermisse ihn immer noch und wünschte so sehr, er käme zurück oder ich wüsste wenigstens, was mit ihm geschehen ist, damit ich es abschließen kann. Aber noch geht das nicht. Trotzdem lebe ich mein Leben und bin eigentlich recht glücklich. Ich hab viele neue Freunde gefunden und studiere jetzt schon fast seit einem Jahr, auch das macht mir viel Freude.“
    Jasmin lächelte. „Du bist ein wirklich starker Mensch, Tessa.“
    Tessa seufzte. „Das sagen mir so viele, aber ich fühl mich meist nicht so.“
    Sie lächelten sich an und schwiegen eine Weile.
    Es schien, als sei nun alles gesagt worden, jetzt, da beide ihre Gefühle so nach außen gekehrt hatten. Nach einer Weile fröstelte es Tessa, was Jasmin bemerkte. Sie lächelte und sagte: „Mir wird auch kalt. Es ist nicht unbedingt das geeignete Wetter, um lange draußen zu stehen und zu quatschen, fürchte ich.“ Sie lachte und Tessa stimmte ein.
    „Da hast du wohl recht…“
    „Also, Tessa … wollen wir in Kontakt bleiben?“
    „Aber sicher“, antwortete diese schnell. „Ich mag dich nicht noch mal aus den Augen verlieren.“



    Sie zog ein Stück Papier aus ihrer Jackentasche und wie sich herausstellte, fand sich in Jasmins Mantel auch ein Stift, so dass beide ihre Telefonnummern austauschten.
    Danach sahen sie sich lächelnd an und umarmten sich nocheinmal.
    „Mach´s gut, Tessa. Wir telefonieren. Und mach dir nicht so viele Gedanken wegen Jess. Du hast alles für ihn getan, was du tun konntest.“



    Tessa nickte. „Ich weiß….“
    Lächelnd lösten sie sich voneinander und winkten sich noch einmal kurz zu, dann setzten sie ihren Weg fort. Tessa drehte sich an der Straßenecke noch einmal herum und sah Jasmin als kleinen, schwarzen Punkt im stärker werdenden Schneefall um eine Ecke biegen und verschwinden.
    Tessa rieb sich die eiskalten Hände und starrte in den Himmel. In ihr schmerzte es, als habe sie ihre Seele über ein Stück Sandpapier gezogen. Obwohl sie es sich nicht eingestehen wollte, hatte die Begegnung mit Jasmin sie innerlich sehr aufgewühlt. Es war, als sei ihr ein Stück Vergangenheit über den Weg gelaufen.



    Tessa seufzte und starrte auf ihre vom Schnee weiß gepuderten Fußspitzen. Die Kälte drang inzwischen schneidend durch ihre Kleider. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und als habe diese Berührung etwas in ausgelöst, befreite sich plötzlich ein leiser Schluchzer aus ihrem Mund. Sie stand da, hielt sich selbst umschlungen und weinte. Sie weinte, weinte um den letzten Funken Hoffnung, den sie durch Jasmins Schilderungen verloren hatte.
    Denn sie wusste, dass diese recht hatte. Jess war nicht mehr hier, und egal, wo er hingegangen war und egal, ob er in jenem Februar der Vergeltung der Hellows entkommen war… vermutlich war er längst schon nicht mehr Bestandteil dieser Welt… und wenn doch, dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich diese Tatsache ändern würde. Eine Zeit, in der sie ihn nicht erreichen konnte, ihm nicht helfen… ihn nicht bei sich spüren.
    Er war für sie verloren. Endgültig und für immer.



    Sie richtete ihr tränennasses Gesicht gen Himmel. Sanfte Schneeflocken fielen um sie herum zu Boden. Es war vorbei, das wusste sie nun mit schmerzlicher Endgültigkeit.




    Fortsetzung folgt.....

  • Hallö Innad. :)


    Aha, also doch Jasmin. Das die beiden sich überhaupt wiedererkannt haben. Ich hätte Jasmin so nicht wiedererkannt und Tessa sieht ja auch sehr verändert aus im Gegensatz zu damals. *g*
    Aber Jasmin schaut wirklich gut aus mit den kurzen frechen Haaren und vor allem sieht man ihr auch auf den Bildern an, wie gut es ihr jetzt geht. Sie strahlt richtig. Für sie ist es ja alles gut geworden, sie ist clean und hat zu ihrer Familie zurückgefunden und das sieht man ihr halt auch an. :)
    Das Tessa jetzt endgültig versucht abzuschließen, kann ich vollkommen nachvollziehen. Durch die Schilderungen von Jasmin wurde ihr wohl endgültig klar, dass sie erstens keine Schuld hat und zweitens, dass es egal wie man es dreht und wendet vorbei ist. :(
    Obwohl... Ich kann mir nicht vorstellen, dass du sie da nicht doch eines besseren belehrst und es doch noch nicht so vorbei ist, wie sie jetzt annimmt. ;)


    Ich freu mich auf jeden Fall schon auf die nächste Fortsetzung. *g*
    Ganz liebe Grüße
    Llyn

    You are never more alive than when you're about to lose your pants!



    FS: Sunrise Update: 04.06.19

  • Kapitel 58
    Winternacht




    Die stillen Wintertage vergingen, der Februar kam und damit die Semesterferien. Diesmal war es völlig anders als im Sommer – die meiste Zeit verbrachte Tessa entweder in der Bibliothek, um sich den zwei oder drei Hausarbeiten zu widmen, die sie bis zum nächsten Semesterbeginn fertig stellen musste, zum anderen in ihrer gemütlichen Wohnung, eingemummelt in eine Decke und mit einem guten Buch und einer heißen Tasse Tee oder Kaffee. Manchmal gesellte sich Feli zu ihr und sie schauten sich eine DVD an oder machten es sich einfach beim Quatschen gemütlich.
    Hin und wieder traf sie sich gemeinsam mit Susanne, Feli und oft auch Joshua in der Eishalle zum Schlittschuhlaufen oder in einem der vielen In-Bistros in der Stadt.
    Die meiste Zeit verbrachte sie jedoch mit Monika. Sie hatte ihr von der Begegnung mit Jasmin erzählt und auch von der bitteren Erkenntnis, die jene ihr gebracht hatte. Monika konnte sie von all ihren Freunden immer noch am besten verstehen.
    Auch an diesem kalten Winterabend im späten Februar hatten beide sich getroffen und waren gemeinsam zu ihrem Lieblingsitaliener gegangen, um sich dort mit Pizza und Pasta und einem Glas guten Rotweins auf den Beginn des Wochenendes einzustimmen, denn heute war wieder Freitag.
    An einer Straßenkreuzung verabschiedeten sie sich voneinander und gingen dann zu Fuß jeweils in verschiedene Richtungen.
    Tessa war recht froh, nicht mit dem Auto gefahren zu sein. Erstens war die Straße immer noch dick mit Schnee bedeckt und zum anderen war ihr der Chianti wohl doch etwas zu Kopf gestiegen.



    Da gab es nichts besseres, als in der frischen, kalten Luft zu sein und sich die Beine zu vertreten. Auch wenn ihr immer noch oft mulmig war, wenn sie nachts allein durch die Straßen ging. Zwar wohnte sie durchaus in einem besseren Viertel der Stadt, aber trotzdem schielte sie immer wieder beklommen in die ein oder andere Einfahrt oder dunkle Nische und beschleunigte ihren Schritt, wann immer ihr etwas seltsam vorkam.



    Tessa war froh, als sie um die Ecke ihrer Straße bog und das Mehrfamilienhaus, in dem sie nun schon seit mehr als anderthalb Jahren zu Hause war, in der Ferne auftauchen sah.
    Sie schauderte etwas zusammen, die Nacht war wirklich eisig kalt. Vor etwa zwei Wochen war ein Hoch über das Land gezogen und hatte milde, fast schon frühlingshafte Temperaturen gebracht. Man hatte an manchen Tagen, wenn die inzwischen doch wieder recht kräftige Sonne spendabel ihre Energie auf die Erde gerichtet hatte, sogar ohne dicke Jacken draußen sein können.
    Die Krokusse und Narzissen hatten sich bereits vorsichtig aus der Erde gewagt und ihre noch geschlossenen Köpfe gen Sonne gewandt.
    Doch dann war das Wetter plötzlich wieder umgeschwungen und hatte erneute, eisigkalte Temperaturen und Schnee gebracht. Der Frühling schien mit einemmal wieder furchtbar weit entfernt zu sein.
    Tessa rieb sich die Hände und schaute sich nervös um, als habe sie den Eindruck, jemand sei ihr gefolgt. Doch die Straße war menschenleer. Sie seufzte. Irgendwie fühlte sie sich heute Nacht besonders nervös und beklommen.



    Sie beschleunigte ihren Gang noch etwas mehr, was mit den hohen Absätzen, die sie heute trug, gar nicht so einfach war. Aber sie war es gewohnt, mit solchen Schuhen weite Strecken zu gehen. Das war wohl eine Marotte, die sie von ihrer Mutter übernommen hatte … so ungern sie sich das auch eingestehen wollte. Die Liebe zu schönen Kleidern und trendigen Schuhen musste tatsächlich in irgendeiner Form genetisch bedingt sein, denn sie konnte sich dieser genauso wenig entziehen wie ihre Mutter… und das, obwohl sie doch eigentlich bei weitem nicht so oberflächlich war. Ein Lächeln huschte Tessa über das Gesicht. Neulich hatte sie das einmal Feli erzählt und diese hatte laut und schallend gelacht und zwinkernd erwidert: „So lange es nicht schlimmeres ist, Tessa, würde ich sagen, dass sowohl du als auch der Rest der Welt das ganz gut verkraften werden.“
    Tessa war inzwischen fast zu Hause angekommen und stellte halb seufzend fest, dass es just in diesem Moment schon wieder zu schneien begann.
    „Es würde mal reichen für diesen Winter“, seufzte sie in die Stille der Nacht hinein.



    Dann wandte sie ihren Blick von den sanft zur Erde schwebenden Flocken ab und sah wieder nach vorne, wo sich das Mehrfamilienhaus, in dem sie wohnte, vor ihr erhob. Sie stockte. Ihre Füße blieben derartig abrupt stehen, dass sie fast aus dem Gleichgewicht geriet.
    Vor dem Eingang zum Haus, nur ein kleines Stück neben der vorm Haus stehenden Mülltonne, lag etwas…
    Tessa spürte, wie ihr Atem schneller ging und sie ängstlich ein Stück zurück wich. Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, um in der Dunkelheit und durch die vom Himmel tanzenden Flocken hindurch besser sehen zu können.
    Da lag nicht etwas… da lag JEMAND!
    Tessa blieb einen Augenblick unschlüssig und ängstlich stehen. Offensichtlich war dort vor der Haustür jemand zusammengebrochen… bei dieser Kälte konnte sie ihn nicht dort liegen lassen, man konnte binnen kürzester Zeit erfrieren. Dennoch wagte sie es nicht, sich zu bewegen. Was, wenn es ein betrunkener Penner war, der sich nicht unter Kontrolle hatte? Die Erinnerungen an jene Nacht im „5th Scene“ waren noch allzu lebendig.
    Tessa entschloss sich gerade, direkt den Notruf zu alarmieren, als ihr das Handy, nach welchem sie in ihrer Jackentasche gegriffen hatte, plötzlich kraftlos aus der Hand fiel.
    Sie fixierte den leblosen Punkt vor dem Haus nocheinmal und sog die Luft dann scharf und tief ein. Diese Jacke… sie kannte diese Jacke….
    Bevor sie noch weiterdenken konnte, hatten sich ihre Füße wie aus einem Automatismus in Bewegung gesetzt und plötzlich war es egal, welche Art von Schuhe sie trug oder ob sie eben noch Angst gehabt hatte… sie rannte wie der Teufel auf das Haus zu.




    Atemlos blieb sie vor der leblosen Person stehen.
    „Jess!“
    Sie fiel kraftlos auf die Knie, betrachtete das ihr so lange so sehnsüchtig vermisste und so geliebte Gesicht, ohne zu begreifen, was sie sah, was dies bedeutete.
    „Jess…“
    Ihre Hände fuhren über seine Wangen, die eiskalt waren, geronnenes Blut klebte an ihnen und bald auch an ihren Fingern.
    „Jess… Jess… wach auf! Sag etwas… Jess… Jess…“
    Ihre Worte klangen fast einem atemlosen Wimmern. Sie berührte seine Haare, seine Arme, seine Hände, als wolle sie sich vergewissern, nicht nur wieder in einem dieser verrückten Träume zu sein.
    Doch die Kälte, die ihre Haut traf, machte ihr nur allzu deutlich klar, dass sie nicht träumte.
    „Jess… hörst du mich! Mach die Augen auf!“



    Sie starrte den reglosen Mann vor sich an. Ihr Herz schien einen Moment auszusetzen. Kam sie zu spät?
    „Jess….“, flüsterte sie, es klang flehentlich. „Komm schon, enttäusch mich nicht. Sag was!“
    Sie rüttelte noch einmal mit Nachdruck an seiner Schulter, doch er blieb weiterhin völlig reglos.
    Ihre Augen fuhren über seine aschfahle Haut. Er war übel zugerichtet worden. Was war nur mit ihm geschehen?



    Tessa Augen fuhren hektisch hinab zu seinem Brustkorb und ein Seufzer der Erleichterung entwich ihren Lippen, als sie eine schwache Bewegung ausmachte. Er lebte – noch.
    Sie sprang auf und sah sich hilfesuchend um. Es schien, als herrsche in ihrem Kopf nichts als ein einziges Chaos wirrer Gedankengänge. Ihre Beine zitterten so sehr, dass sie sich kaum aufrecht halten konnte.
    Einen Moment schien sie völlig ratlos zu sein, was sie tun sollte.



    Und dann folgte sie einfach völlig kopflos dem ersten Impuls, der sich durch das paralysierende Gefühl des Schocks und der Verwirrung zu bahnen vermochte.
    „Hilfe!!“ schrie sie aus Leibeskräften. „Ich brauche hier Hilfe!!!“



    *geht noch weiter*

  • Es dauerte keine Sekunde, da wurde die unterste Balkontür aufgerissen und der ältere Mann aus der Erdgeschoßwohnung streckte mit weit aufgerissenen Augen den Kopf ins Freie.
    „Frau Wagner?“, rief er aufgeregt. „Sind Sie das?“
    „Ja, ich bin es… ich… ich brauche hier Hilfe! Hier ist ein schwerverletzter Mann!!“

    Es dauerte keine fünf Sekunden, da war der ältere Mann auf die Straße gestürzt gekommen und hatte mit einem kurzen Blick die Situation erfasst.
    „Rufen Sie den Krankenwagen, Frau Wagner!“, sagte er in aufgeregtem, aber festem Ton. Die Kraft seiner Stimme und seine ruhige Überlegenheit schienen Tessas Betäubung endgültig aufzulösen.
    „Soll ich hineinlaufen und anrufen?“, hörte sie eine weibliche Stimme auf der Vortreppe, die von der Ehefrau des Mannes stammte.
    „Nein!“ beeilte sie sich zu sagen und hatte schon das Handy am Ohr. „Ich hab ein Handy, ich ruf an.“
    Sie schaffte es, ihre Finger so weit unter Kontrolle zu bringen, um die Tasten „112“ zu treffen und während sie atemlos den Notruf absetzte, beobachtete sie, wie der ältere Herr in die Knie ging und nach Jess sah, während seine Frau bestürzt neben ihm stand und das Geschehen beobachtete.



    Als sie die Rettung alarmiert hatte, rannte Tessa zurück zu der Stelle, an der Jess nach wie vor reglos lag und starrte Herrn Ebert, dessen Name ihr jetzt auch wieder eingefallen war, an.
    „Er lebt noch, oder?“, stammelte sie atemlos.
    Herr Eber nickte, sah aber sehr ernst aus. „Vorläufig noch“, erwiderte er besorgt und tastete erneut nach Jess Puls. „Er ist furchtbar unterkühlt und scheint böse verschlagen worden zu sein. Ich werde schnell nach drinnen laufen und eine Decke holen.“ Er verschwand wieder ins Haus.

    Tessa zitterte und beugte sich zu Jess.
    „Jess… du musst durchhalten, hörst du… ich will dich nicht noch einmal verlieren…“



    „Kennen Sie diesen jungen Mann, Frau Wagner?“, fragte Frau Ebert sie da.
    Tessa stand auf, um ihrem Ehemann Platz zu machen, der mit einer dicken, braunen Wolldecke in der Hand aus der Wohnung gerannt kam und Jess vorsichtig und ohne ihn zu bewegen darin einhüllte.
    „Ja“, antwortete sie fest. „Er ist mein Freund.“
    Überraschung zeichnete sich auf dem Gesicht Frau Eberts ab, aber dann trat sie zu Tessa und strich ihr sachte über den Arm.
    „Wie furchtbar für Sie. Haben Sie keine Angst, der Krankenwagen bist bestimmt gleich da.“



    Tessa lächelte gequält.
    „Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte, Frau Ebert…“
    Sie starrte erneut zu Jess und spürte, wie sich ihr Hals zuschnürte, als sie ihn dort so leblos und aschfahl liegen sah. Ihr Herz zog sich zusammen und schien zu einem Eisklumpen zu werden. Sie wandte den Blick wieder ab, weil sie meinte, es nicht länger ertragen zu können und wanderte mit den Augen gen Himmel.
    „Oh bitte…“, flüsterte sie, wie betend. „Bitte… bitte… nimm ihn mir nicht noch einmal…“



    Sie starrte die dunkle Straße hinab, doch nichts regte sich. „Wieso dauert das nur so lange?“
    „Sie haben den Notruf erst vor knapp vier Minuten abgesetzt“, beruhigte Herr Ebert sie. „Aber sie werden bestimmt gleich kommen.“
    Angespannt starrten alle drei Menschen die Straße hinab und hofften auf das erlösende Geräusch des Martinhorns.
    Herr Ebert erhob sich aus seiner knienden Position und sagte: „Er atmet, flach aber regelmäßig…“
    Seine Ehefrau nickte und sagte: „Ihr Freund ist bestimmt ein Kämpfer… er wird das schaffen, da bin ich mir sicher…“
    „Oh, ich glaube, ich höre die Sirene!“ rief Tessa aus und horchte angestrengt in die Stille der Nacht.



    Und tatsächlich, nur wenige Sekunden später brausten Notarzt- und Krankenwagen die Straße hinab und kamen mit Blaulicht und quietschenden Reifen vor dem Haus zum Stehen.
    Mit wenigen Worten hatte Tessa dem Notarzt erklärt, was geschehen war. Sie sagte ihm Jess´ Namen und alles, was für wichtig erachtet wurde. Währenddessen hatten sich die Sanitäter schon eifrig an ihm zu schaffen gemacht und ihn in eine Decke gehüllt in den Krankenwagen geschoben.



    *geht noch weiter*

  • „Chef – er will uns entwischen!“, hörte sie plötzlich die aufgeregte Stimme eines der Sanitäter.
    Sie schluckte und ihre Hand ballte sich zur Faust, als sie zusah, wie die drei Männer sich nun hektisch an Jess zu schaffen machten.



    Das viel zu schnell und hektisch piepsende Geräusch des EKG-Monitors wurde wie ein Echo aus dem Krankenwagen in die Stille der Nacht geworfen. Inzwischen waren um sie herum mehrere Lichter in den Häusern angegangen und die Menschen zogen vorsichtig die Vorhänge zur Seite, um einen Blick auf das ungewöhnliche Treiben vor ihren Häusern zu erwischen. Tessa realisierte nichts davon, auch nicht, dass das Ehepaar Ebert wie selbstverständlich zu ihr herangetreten war, um sie zu stützen.

    Die Bilder der hektischen Sanitäter, die Jess voller Verzweiflung am Leben zu halten versuchten, die angespannten Rufe seitens der Männer, die sich medizinische Fachbegriffe und Medikationen zu schrien, die sich öffnenden Fenster und Türen um sie herum, nahm sie kaum noch wahr. Ihre Augen starrten ins Leere, ihr Herz tönte in ihren Ohren wie eine Trommel… aber auch das nahm sie kaum noch wahr.



    Sie stand einfach da, unbeweglich, wie in Salz gegossen, und wusste nicht mehr, was sie fühlen und denken sollte.
    Die Sekunden schienen sich unerträglich zu ziehen. Immer noch riefen sich die Männer im Wagen Dinge zu, die sie nicht verstand.
    Einzelne Fetzen des Geschehens schafften es, sich in ihr Bewusstsein vorzudrängen und wurden dort mit solch einer stechenden Klarheit von ihr aufgenommen, dass es sie fast erschreckte… das besorgte Gesicht Herrn Eberts, der seiner Frau einen verheißungsvollen Blick zu warf… die Schneeflocken, die sich in ihrem Haar verfingen… das Geräusch von schlagenden Türen… und dann nahm sie als letztes mit grausamer Klarheit das eintönige, lineare Geräusch des EKG-Monitors aus dem Krankenwagen wahr…



    Und da wusste sie, dass Jess den Kampf verloren haben musste.
    Was danach folgte, war ein schwarzes Loch, in das sie zu fallen schien. Sie konnte später nicht mehr sagen, was in jenen Minuten geschehen war.
    Sie wusste es nicht. Sie wusste gar nichts mehr. Nur halb bewusst realisierte sie, wie ihre Knie mit einemmal weich wurden. Sie fühlte sich von erstaunlich starken Armen gefasst und ins Haus gebracht. Draußen schlugen die Türen des Krankenwagens laut zu und das Geräusch des aufheulenden Motors zerriss die Nacht.
    Tessa realisierte es kaum mehr.
    Nur ein einziger Gedanke hatte Platz in ihrem Kopf und ihrem Herzen – Jess´ Herz hatte aufgehört zu schlagen.






    Fortsetzung folgt...

  • Ja, du bist schon sehr flott mit den Fss.;)
    Da mach ich halt meine Bemerkungen zu beiden:

    Die erste war für mich irgendwie so ein Zwischenkapitel. Wie ein Abstand nehmen, oder Atemholen. Das Gespräch mit Jasmin hat Tess einerseits die alte Welt wieder hochgebracht und ihr gleichzeitig andererseits klar vor Augen geführt, was eine realistische, "vernünftige" Einschätzung von Jess Lage wäre.
    Naja, das zweite zeigt, wofür atemgeholt wurde und scheint zu sagen "soviel zur Vernunft!".
    Die Verbundenheit mit Jess, die Tess noch immer spürte, war doch noch realer, als sie selbst annahm.:(
    Und an dieser Stelle muss ich mal::anbet Wow!
    Was die Bilder und dein Text hier rüberbringen ist einfach ganz, ganz großes Kino!
    Alles passt. Ob du ihren Alltag beschreibst oder das Erkennen, ihre Bestürzung, ihre Ohnmacht und alle Details so plausibel und realitätnah – die Sprache vermittelt so viel von der Stimmung, und so exakt passende Bilder dazu (Jess´Beine, wie sie auf ihn zuläuft, die Mimikbilder z.B.) - Ich bin hingerissen von diesem Gefühlsdrama.

    Nun sind ihre schlimmsten Befürchtungen vor ihren Augen wahr geworden. Da sieht sie Jess bloß noch einmal um ihn diesmal endgültig zu verlieren….:hua

    War das der Plan? :nein Mir wär´s recht, wenn Tess einwenig zu früh in Ohnmacht gefallen und reingebracht worden ist – wenn es den Notfallmedizinern doch noch gelungen ist, Jess, zumindest vorerst, zurück zu holen, auf dem Weg ins Krankenhaus…. Tess sicher auch.:suse

    Ich hoffe und bange und warte auf die FS,
    :herzlichs Josijusa

    [center]I scream, you scream, we all scream for ice cream [/center]

    [center]I still want to find a real good book and never have to come out of it.[/center]

  • Innad, bitte sag mir das das nicht dein ernst ist! Jess darf nicht tot sein!
    Er darf eseinfach nicht!
    Die Bilder ind dir übrigens echt gut gelungen und der text ebenfalls....
    Sry bin zu müde um viel mehr zu schreiben!
    Eig wollte ich das kommischreiben ja aufgeben.....
    aber jetzt musste das sein!

    [SIZE=1]Da ist ein Ort, wo der Bürgersteig endet[/SIZE]
    [SIZE=1]Und bevor die Straße beginnt[/SIZE]
    [SIZE=1]Und dort wächst das Gras, das weiche weiße[/SIZE]
    [SIZE=1]Und dort brennt die Sonne, die purpurrot heiße[/SIZE]
    [SIZE=1]Und der Mondvogel schläft dort nach langer Reise[/SIZE]
    [SIZE=1]Im kühlen Pfefferminzwind[/SIZE]

  • Uak!!! :hua :hua :hua
    So lange haben wir um Jess gebangt, das kann doch nicht alles umsonst gewesen sein!
    Nein, er darf nicht tot sein! Was FS-Schreiben angeht, traue ich dir ja vieles zu ( :huchi ) aber SOWAS dann doch nicht!
    Ach was, bestimmt willst du uns nur mal wieder reinlegen, gell? ...GELL???
    Büdde, das war nur ein schlechter Scherz!

  • Hallo!


    Egal ob Jess jetzt tot ist oder nicht, die Begegnung kann langfristig nur positiv sein. Entweder er lebt macht einen Entzug und es herrscht Friede-Freude-Eierkuchen oder er stirbt, was natürlich sehr tragisch wäre:(, und Tessa könnte endgültig abschließen. Es gäbe ihn nicht mehr und auch keine unterbewusste Hoffnung er käme vielleicht doch noch irgendwie zurück.


    Ich hoffe wie wahrscheinlich die meisten, dass er noch lebt auch wenn das Tessas Beobachtungen zu Folge sehr unwahrscheinlich ist. Sein Tod wäre dann natürlich ziemlich gemein, die Hoffnung kommt und dann ist sie doch wieder kaputt. Tessas Leben ist doch eine einzige Ungerechtigkeit. Jess' Tod hat sie nicht verdient!


    Hoffentlich geht es bald mit einem lebendigem Jess weiter!

    Biss dann,
    Wölfin
    [SIZE=1]
    P.S.: Wenn ihr Zeit und Lust habt könnt ihr euch hier künstlerisch betätigen. Kein Platz für rassistische, politische oder obszöne Bilder!
    P.P.S.: Wer keine Lust hat selber zu malen, kann sich auch mal in meinen Alben umsehen.
    P.P.P.S.: Rechtschreibfehler dienen lediglich der allgemeinen Belustigung und werden völlig bewußt eingebaut!


    [/SIZE][center][SIGPIC][/SIGPIC]
    [/center]

  • Jetzt will ich aber nach Langem auch mal wieder meinen Senf dazu geben^^
    Bei so einer spannenden Fortsetzung kann man gar nicht anders!:eek:


    Erst die Begegnung mit Jasmin und jetzt das...Die Vergangenheit hat Tessa wieder eingeholt. Ich hatte schon gehofft, dass Jess nicht so endet, wie der Freund von Monika! Ich hoffe mal inständig, dass sie Jess doch noch wieder
    hinbekommen! Es soll ja schon kleine Wunder gegeben haben.
    Du kannst doch Jess nicht so einfach sterben lassen :hua !!!
    Manno man, ich bin echt sehr gespannt wie es weiter geht. Finde nach wie vor, dass du einen unheimlich tollen und fesselnden Schreibstil hast!
    Das ist die erste Fs, die ich von Anfang an und bestimmt auch bis zum Ende lese. Einfach toll :)
    Hoffe mal, dass es noch lange dauert, bis sie zuende ist ;)

    [CENTER][/CENTER]

  • Liebe Innad,
    oh Mann, was machst du denn mit uns?
    Die Freude auf das wieder sehen zwischen Tessa und Jasmin war bei beiden groß.
    Dass Tessa da unbedingt gleich wissen wollte, ob Jasmin was über Jess weiß ist verständlich.
    Ich weiß gar nicht ob ich mit der Frage gewartet hätte. Ich glaub eher nicht. Das merkt man wieder, wie stark Tessa ist und erst wartet bis Jasmin erzählt hat wie es ihr ergangen war. Ich freue mich genauso wie Tessa das Jasmin eine Entziehungskur gemacht hat und diese auch durchhielt. Damit Tessa für einen kurzen Moment es lieber wäre wenn Jess anstatt Jasmin die Entziehung gelungen wäre ist verständlich. Das geht uns doch allen Mal so, das wir und fragen warum die Andern und nicht ich oder warum du und nicht er. Sei es im Krankheitsfall, nach einem Unfall oder in der beruflichen Kariere.
    Für Jasmin hat sich das Leben zum Guten gewendet uns es geht ihr und auch ihre Mutter besser. Es ist schön zu hören, damit Jasmin sich mit ihrer Mutter wieder gut versteht, dann das braucht sie um auch weiterhin stark zu bleiben. Der Entzug ist ja nur der erste Schritt, ein ganz wichtiger Schritt. Doch danach ist es meistens noch ein langer Weg, bis man sein Leben wieder vollkommen im Griff hat. Hoffen wie Mal, das für Jasmin auch weiterhin alles gut läuft.
    Nun hat Tessa wieder neue Hoffnungen etwas über Jess zu erfahren, doch leider weiß Jasmin auch nichts und ewig gehen Tessas Gefühle auf und ab.
    Es ist furchtbar nicht zu wissen was mit einem Menschen passiert ist und noch schwieriger zu ertragen, wenn man diesen Menschen auch noch so liebt.
    Tessa kann so oft zu sich sagen, das es keinen Sinn macht nach Jess zu suchen oder auf ihm zu warten. Solange die Liebe zu ihm in ihrem Herzen ist und da wird sie bleiben bis sie eine liebe findet die noch stärker ist, solange hat sie auch die Hoffnungen, das es Jess gut geht und er wiederkommt.


    Und wie das nächste Kapitel zeigt, ist er wiedergekommen. Aber was ist passiert?
    Er wollte bestimmt zu Tessa, warum sollte er sonst vor dem Haus liegen wo sie wohnt.
    Aber was wollte er von ihr?
    Vielleicht…, es ist doch gut möglich oder sagen wir Mal so, es besteht doch eine kleine Chance, das Jess vielleicht auch einen Entzug gemacht hat, danach zu Tessa wollte. Auf dem Weg zur ihr, sahen ihn die Burschen aus der alten Fabrik wo er Tessa damals gerettet hatte und die haben ihn so zugerichtet.
    Es kann aber auch sein, das er merkte dass seine Zeit gekommen ist und er sich noch von Tessa verabschieden wollte, so dass sie weiß warum er davon gelaufen war.
    Es muss doch einen Grund geben, warum er ausgerechnet dort lag.
    Für Tessa war es furchtbar. Nach langer Zeit sah sie Jess wieder und dann unter solchen Umständen. Nur um mitzubekommen wie er stirbt. Grausam, das ist wirklich Grausam.


    (Sie stand einfach da, unbeweglich, wie in Salz gegossen, und wusste nicht mehr, was sie fühlen und denken sollte.)

    Genauso erging es mir, man nimmt zwar seine Umwelt noch wahr, aber eher im Unterbewusstsein. Ist vielleicht so eine Schutzfunktion, weil das was passiert so schrecklich ist und man es einfach nicht wahr haben will. So geriet man in einem schockähnlichen Zustand um nicht durchzudrehen. Erst bekommt man so eine Art Muskelstarre, dann Herzklopfen, der Blutdruck steigt enorm und auf einmal fängt der Körper an zu zittern als würde man selber auf Entzug sein. Nach Stunden, manchmal aber auch nach Tagen realisiert man was geschehen ist.

    Das EKG signalisiert keinen Herzschlag mehr und Tessa weiß das Jess Tot ist.
    Aber ist er das? Vielleicht gibt es noch Hoffnung und sie können ihn wiederbeleben.
    (Ich mir das soooooo sehr wünsch!:anbet)

    Aber falls wirklich das schlimmste eingetreten ist, kann Tessa einen Schlussstrich ziehen.
    Sie wird zwar trotzdem noch sehr oft an Jess denken, was ihr immer wehtun wird, aber sie brauch nicht mehr auf ihm zu warten und kann ihr Herz für jemand anderes öffnen.


    Das waren wieder sehr schöne Fortsetzungen und klasse Bilder.
    Ich hätte mir ein wieder sehen mit Jess anders gewünscht, aber vielleicht bekommt er doch noch eine Chance. Aber ich bin auch realistisch und das Leben ist nun mal hart, sehr hart.
    Bis dann!

    [SIZE=3]*liebe grüße Ines*[/SIZE]
    [SIZE=3]Meine erste FS! Eine etwas andere Familie! [/SIZE][SIZE=3]
    [/SIZE]
    Liebe Grüße an Nintendog, Rivendell, PeeWee, Jane Eyre, Kautschi, Llynya, colle Omi, wawuschel, Panakita, Josijusa, Filour, fallin'angel undalle Leser!:knuddel



  • So, dann geb ich auch mal wieder meinen Senf dazu ;)


    Ich hab mich für Tessa gefreut als sie Jasmin wieder getroffen hat und natürlich auch für Jasmin.
    Toll das sie ein neues Leben hat und mit dem Alten abgeschlossen hat. Es freut mich zu hören dass es ihr so gut geht.
    Schade nur für Tessa, dass sie ihr nicht weiterhelfen kann, was das Thema Jess betrifft.


    Nun zum neuen Kapitel:


    Ganz toll geschrieben Innad, hab leichte Gänsehaut bekommen beim lesen und habe so richtig mitgefiebert.
    Ich ahnte, dass sich der Zeitpunkt naht, an dem Tessa Jess wiedertrifft, wie allerdings hab ich mir noch nicht ausgemalt.


    Ich finde es gut, wie du das Auffinden von Jess beschrieben hast, besonders die Gefühle die Tessa dabei durchströmen.
    Ich hoffe sie bekommt nocheinmal die Gelegenheit mit Jess zu reden. Ich finde beide sollten sich noch aussprechen. Es gibt soviel über das die Beiden noch zu reden hätten und ich hoffe das Jess überlebt damit dies von statten gehen kann.


    Auch wenn die Beiden vielleicht keine Chance mehr haben sollten, somit kann Tessa vielleicht nach einem Gespräch besser mit ihrem Leben mit Jess abschließen, als immer in Ungewissheit zu leben.


    Ich bin sehr gespannt wie es weitergeht und freue mich auf die Fortsetzung ;)
    Liebe grüße
    Verena

    [center]~*~
    Nicht alle sind glücklich die glücklich scheinen, manche lachen nur um nicht zu weinen.[/center]

  • Das kann doch jetzt nicht dein Ernst sein?! Das kannst du doch nicht machen?! Solange warte ich schon, dass Jess endlich wieder auftaucht und jetzt tut der das und dann bringst du ihn um...das ist gemein...das darfst du mir nicht antun! Nein, nein, nein, das darfst du nicht! Bitte, bitte, mach, dass er wieder reanimiert werden kann!


    So...tut mir Leid...aber ich musste meinen Gefühlen erstmal freien Lauf lassen :D...mich hat das gerade total geschockt.


    Ich habe deine Story jetzt länger als stille Leserin verfolgt und muss einfach sagen: Du schaffst es immer wieder mich in den Bann zu ziehen...du schreibst so real und mitreißend...das ist echt der Wahnsinn! Ganz großes Lob von meiner Seite!


    Mach bald weiter und ich hoffe für dich, dass Jess nicht stirbt...sonst :keule...nein Scherz...;)...aber bitte, bitte lass ihn nicht sterben!


    glg, elizza

  • Hallö Innad. :)


    Als ich die Kapitelüberschrift gelesen hab, wusste ich, dass Tessa diesmal Jess wiedersieht. Allerdings hätte ich nicht mit so einem Wiedersehen gerechnet. :hua
    Wie ist Jess dahin gekommen? Wer hat ihn so zugerichtet? Wo ist er gewesen? Was hat er das Jahr über durchgemacht?
    Alles Fragen, die noch offen sind und ich hoffe wirklich, dass da noch Antworten drauf folgen.
    Tessa tut mir so unendlich Leid. :( Sie wird sich bestimmt, die gleichen Fragen stellen und versuchen nach Antworten zu forschen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie jetzt wo es so aussieht, als wäre Jess tot (ja, auch ich hab da noch Hoffnung *g*) alles auf sich beruhen lässt und ihr Leben so weiterlebt wie bisher. Sie wird bestimmt nicht vergessen, dass es noch so viele offene Fragen gibt und bestimmt wird sie nicht aufgeben bis sie Antworten hat. Jetzt erst recht nicht!


    Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich jetzt auf die nächste Fortsetzung freue. Solange Jess noch nicht begraben ist, schreib ich ihn noch nicht ab!
    Ganz liebe Grüße :herzlichs
    Llyn

    You are never more alive than when you're about to lose your pants!



    FS: Sunrise Update: 04.06.19

  • Oh Innad, was machst du nur mit uns?!!:(


    Jess ist zurückgekommen! Und er wollte zu Tessa! Aber wer hat ihn so zugerichtet? Woher ist er gekommen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er direkt vor Tessas Wohnhaus überfallen wurde. Nein, er muss von diesen Hellows (hiessen die so?) irgendwo gefunden und halb tot geschlagen worden sein, hat sich dann mit letzter Kraft zu Tessas Wohnung geschleppt, und dann hat ihn seine Kraft verlassen. Bei dieser Kälte und seinem geschwächten Körper zählt jede Sekunde!
    Oh, ich hoffe so sehr, dass du ihn leben lässt. Der lineare Ton des EKG...es ist ein totaler Schock für Tessa, aber noch ist nicht alles verloren. Bestimmt versuchen die Aerzte alles, um ihn zu reanimieren. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, er hat noch geatmet. Nein, es darf doch nicht sein, dass er jetzt vor ihren Augen einfach sterben musste, ohne dass die beiden wenigstens noch miteinander reden konnten!


    Ich sehe mir noch einmal den Titel deiner FS an "Tiefer als der Schmerz". Nun, was ist tiefer als der Schmerz? Die Liebe? Wird die Liebe schlussendlich doch noch siegen? Ja, ich weiss, ich höre mich heute ziemlich sentimental und kitschig an. Aber ich kann gerade nicht anders. Dein Text und deine Bilder haben mich so berührt und ich hoffe, dass doch noch alles gut kommt. Tessa hat lange genug gelitten, gebangt, gehofft. Oder.....????


    Trotz der Tragik war das wieder eine wunderbare Fortsetzung!:applaus


    Liebe Grüsse
    Jane

  • @ALL: Ich mache heute mal etwas, das ich sonst nicht tu und beantworte eure Kommis nicht einzeln, weil ich gerade ein bißchen im Stress bin und doch noch unbedingt das nächste Kapi einstellen will, was sicher in eurem Sinne ist :rolleyes


    Danke für eure vielen und tollen Kommis! Ich bin echt überwältigt und freu mir ein Loch in den BAuch darüber!


    Ob Jess wirklich gestorben ist oder nicht, erfahrt ihr heute...!


    Vielen Dank für euer Lob und eure Kommentare, nächstes Mal gehe ich wieder auf jeden von euch einzeln ein! Versprochen!

  • Kapitel 59
    Schwebend



    Das monotone Ticken der alten Standuhr in der Ecke hatte etwas Beruhigendes, fast einschläferndes an sich. „Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack…“, tönte der anschlagende Pendel durch den Raum. Ansonsten war es still.
    Tessa fühlte etwas warmes aus Porzellan in ihrer Hand und die sanfte Stimme der alten Frau bat sie, etwas davon zu trinken, es würde ihr gut tun.
    Fast mechanisch führte sie die Tasse zum Mund und trank in kleinen Schlucken von dem heißen Getränk. Eine wohlige Wärme, die in ihrer Kehle brannte, erfüllte ihren Körper und sie spürte, wie ihre Lebensgeister langsam wieder zu erwachen schienen. Erst jetzt realisierte sie, dass sie vor Kälte gezittert hatte… oder war es doch eher vor Angst und Aufregung? Sie wusste es nicht. Man hatte ihr aus ihrem Mantel geholfen und ihre Beine auf einem weichen Sofakissen gebettet, das auf dem kleinen Wohnzimmertisch vor ihr lag.
    Erst langsam begann sie ihre Umgebung wieder bewusst wahrzunehmen. Es war, als helfe das heiße Getränk ihr, die Schleier, die sie umgeben hatten, allmählich zu lüften. Sie war alleine in dem freundlichen Wohnzimmer, in das man sie gebracht hatte. Es war still, nur das Ticken der alten Standuhr leistete ihr Gesellschaft.

    Erneut ließ sie ihren Blick zu ihr schweifen. Es war kurz nach zehn Uhr.



    Die Tür öffnete sich und das Ehepaar Ebert betrat den Raum. Frau Ebert ließ sich neben Tessa auf der Couch nieder und griff vorsichtig nach ihrer Hand, während ihr Mann sich auf den Sessel vor dem kleinen Tisch setzte.
    „Wie geht es Ihnen, meine Liebe? Fühlen Sie sich etwas besser?“, fragte Frau Ebert einfühlsam.
    Tessa nickte. „Ja – ich denke schon… ich…“
    Sie schluckte. Je klarer sie wurde, desto klarer wurden auch die Bilder der vergangenen Minuten in ihr… und ihre Bedeutung.
    Was war dort draußen geschehen? Wie lange war sie hier drinnen? Sie wusste es nicht. Sie hatte nicht das Bewusstsein verloren, aber ihre Orientierung. Aber eine Wahrheit stand ihr schmerzlich vor Augen: Jess war tot.
    Tessas Augen füllten sich mit Tränen, sie hatte das Gefühl, diesen Gedanken keine Sekunde länger mehr ertragen zu können. Ihre Kehle zog sich zu, als habe jemand ihr ein Seil darum geschlungen und zöge mit aller Kraft daran, die ein Mensch nur aufbieten konnte. Das Atmen fiel ihr schwer und ihre Hände begannen wieder zu zittern. Fast wünschte sie sich wieder zurück in den nebligen Zustand, in dem sie sich vor wenigen Minuten befunden hatte… zu heftig und schmerzlich war die Realität, in der sie sich befand.
    „Frau Wagner… ist alles in Ordnung?“, hörte sie die besorgte Stimme Herrn Eberts an ihr Ohr dringen.


    Sie nickte, obwohl dies eigentlich den reinsten Hohn darstellte. Nichts war in Ordnung… nichts. „Ich… ich muss wohl einen kleinen BlackOut gehabt haben“, sagte sie schließlich mit dünner und trockener Stimme. „Was ist geschehen? Ist… Jess… ist er …“
    Sie brachte es nicht über sich, das Wort auszusprechen. Diese eine Wort, das so unbedeutend schien, mit seinen drei simplen Buchstaben, von hinten und vorne gleich zu lesen, ein unbedeutendes Wörtchen – das so viel Bedeutung hatte. Es bedeutete Welten, es bedeutete Leben, Dimensionen … es bedeutete mehr als ein menschliches Herz fassen, ertragen, dulden konnte. Das alles schoss Tessa in diesem Moment durch den Kopf, und auch dies erschien ihr einfach nur bizarr.
    „Ihnen ist nur ein bisschen schlecht geworden“, beruhigte Frau Ebert sie und sah sie freundlich an. „Wir haben sie lieber hereingebracht, bevor sie da draußen ganz zusammengeklappt wären… wir konnten ohnehin nichts tun als zu hoffen und zu beten. Trinken Sie noch einen Schluck Tee, meine Liebe, der hilft Ihnen, wieder auf die Beine zu kommen. Wenn Sie wieder einigermaßen hergestellt sind, können wir Sie ins Krankenhaus fahren, wenn Sie möchten.“
    Tessa starrte die Frau neben sich verwirrt an und stammelte dann: „Aber… Krankenhaus… wieso?“
    Erst jetzt schienen die beiden zu begreifen, worauf Tessa hinaus wollte. „Ihr Freund lebt, Frau Wagner“, erklärte Frau Ebert ruhig. „Wir dachten, Sie hätten mitbekommen, dass der Krankenwagen losgefahren ist.“



    Tessa fühlte sich schummrig verwirrt und brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu sortieren. Das Geräusch des EKG… Herzstillstand… sie hatte es genau gehört… dann das Losfahren des Krankenwagens…
    „Das heißt… er ist… nicht tot?“, stammelte sie, wie um es sich selbst begreiflich zu machen.
    „Der Notarzt hat es geschafft, ihn wiederzubeleben“, erklärte Herr Ebert nun ruhig. „Es war wohl ein hartes Stück Arbeit, sie haben es mehrmals versucht, bis er wieder da war. Dann sind sie sofort losgefahren. Man sagte uns, sie bringen ihn in die Weststadtklinik.“
    Tessa saß für einen Moment starr und still, ohne ein Wort zu sagen. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Halse. Jess lebte – er hatte nicht aufgegeben!



    In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken, aber sie zwang sich zur Ruhe und richtete das Wort wieder an Herrn Ebert: „Hat der Arzt etwas gesagt, wie seine Chancen sind?“
    Sie hatte mit der Antwort gerechnet, die Herr Ebert ihr mit bekümmertem Gesicht gab: „Nein, meine Liebe – das konnte er beim besten Willen nicht. Es ging auch alles ganz schnell, aber ich habe gehört, dass er seinen Kollegen zurief, dass Ihr Freund wohl noch weiterhin in größter Gefahr schwebe…“
    „Anton!“, brummte seine Ehefrau entrüstet, doch dieser winkte energisch ab. „Es nutzt nichts, wenn ich Ihnen nicht die Wahrheit sage, Frau Wagner. Ich war selbst einmal Sanitäter und im Rettungsdienst tätig und weiß darum ein wenig Bescheid, auch wenn es schon eine Weile her sein mag. Die Chancen für Ihren Freund sind nicht besonders gut… wenn er schon einen Herzstillstand hatte, lässt das nichts Gutes hoffen.“
    Tessa schluckte.
    „Aber man hört immer wieder von Wundern“, erklang die tröstende Stimme Frau Eberts neben ihr. „Und Ihr Freund hat schließlich bewiesen, dass er ein Kämpfer ist, nicht wahr? Ich bin mir sicher, dass er es schaffen kann…“



    Tessa lächelte gequält. Sie fand es sehr nett von der alten Dame, dass sie versuchte, sie zu trösten, aber wenn sie ihrem Mann in die Augen sah, wusste sie, dass dieser mit dem Schlimmsten rechnete und irgend etwas in ihr glaubte eher seiner Sachlichkeit als ihrer Hoffnung. Dennoch – auch sie würde weiterhin beten und hoffen, so lange, bis es keine Hoffnung mehr geben würde. Tessa atmete tief ein und sortierte sich noch einmal, dann stand sie auf und sagte mit fester Stimme: „Ich werde eine Freundin anrufen, damit sie mit mir ins Krankenhaus fährt… ich bin Ihnen beiden schon genug zur Last gefallen und möchte mich herzlich für Ihre Hilfe bedanken, wirklich…“
    Und sie schickte sie an, ihre Jacke zu nehmen. „Warten Sie, Frau Wagner – wollen Sie jetzt ganz alleine nach oben in Ihre Wohnung? Wieso rufen Sie ihre Freundin nicht von uns aus an und warten hier, bis sie gekommen ist? Ich denke nicht, dass Sie jetzt alleine sein sollten. Sie sind immer noch recht blass um die Nase…“, gab Herr Ebert zu bedenken.
    Tessa lächelte leicht. „Nun ja – ich kann sie auch von hier anrufen, wenn Ihnen das recht ist, natürlich…“
    Sie wollte nicht zugeben, dass ihr der Gedanke, nach oben in die leere Wohnung zu gehen, von der Stille erdrückt zu werden und an jene Tage zu denken, als Jess vor etwa einem Jahr hier bei ihr gewesen war, nicht behagt hatte. So war sie recht froh über das Angebot, hier warten zu können.
    Schnell schritt sie darum zum Telefon und wählte ohne eine Sekunde nachzudenken Monis Nummer.
    Es dauerte nur wenige Sekunden, bis diese sich am anderen Ende der Leitung meldete.
    „Moni? Hier ist Tessa…“



    Monika realisierte sofort anhand Tessas Stimme, dass etwas geschehen sein musste.
    „Tessa? Was ist los? Wo bist du?“
    „Moni, hör zu… es ist etwas furchtbares geschehen“, ihre Stimme zitterte, „Jess ist zurückgekommen…“
    Sie warf einen verlegenen Blick auf das Ehepaar Ebert, das sich dezent im Hintergrund mit gedämpfter Stimme unterhielt. „Ich… ich erklär dir alles später, nur… er ist verletzt… er … sie haben ihn ins Krankenhaus gebracht und ich muss zu ihm, so schnell es geht. Kannst du kommen und mich hinfahren?“
    „Ich bin fünf Minuten da“, erwiderte Monika sofort und ohne weiter nachzufragen. „Wo bist du genau?“
    „Bei mir zuhause, nur nicht in meiner Wohnung. Unteres Stockwerk, die linke Wohnung, wenn man vorm Haus steht. Die Familie heißt *Ebert*.“

    „Ich bin unterwegs!“, rief Monika in den Hörer und hatte schon aufgelegt.



    Tessa seufzte und fühlte etwas wie Erleichterung in sich aufsteigen. In wenigen Minuten würde Moni da sein, was ihr gerade wie ein Rettungsanker vorkam.
    Sie setzte sich mit einem schiefen Lächeln wieder zurück auf die Couch und starrte auf das Wandtelefon. Einen Moment schoss ihr durch den Kopf, dass sie ja genauso gut ihr Handy hätte nutzen können... aber das war ja eigentlich auch völlig gleich.
    „Ihre Freundin ist unterwegs?`“ fragte Herr Ebert.
    Tessa nickte. „Ja – sie wird gleich da sein.“
    „Wo wohnt sie denn? Weit?“
    „Nein, nur ein paar Blocks weiter“, antwortete Tessa und starrte dann auf ihre Fußspitzen.



    *geht noch weiter*